Tagebuch eines Schriftstellers

Veröffentlichung
1873 erstmalig veröffentlicht in der slawophilen Zeitschrift „Der Bürger“
(deren Redakteur Dostojewski zu dieser Zeit auch gewesen ist)
ab 1875/76 dann im Selbstverlag erschienen

„Schon im ersten Jahr hat die Zeitschrift 2.000 Abonnenten und ebenso viele Käufer pro Nummer, im Folgenden steigt die Zahl der Abonnenten auf 3.000 und die der Käufer auf 4.000, einige Hefte werden bis zu fünfmal neu aufgelegt. Dostojewskis Einfluss wird von Monat zu Monat stärker.“
Troyat S. 371

Inhalt
Das Tagebuch eines Schriftstellers ist kein Tagebuch im eigentlichen Sinne, sondern ein Periodikum; faktisch ein Ein-Mann-Periodikum. Im selbigen veröffentliche Dostojewski ausnahmslos eigene Texte. Das Tagebuch fungierte nicht nur als Medium der Selbstdarstellung, sondern auch zugleich als Instrument für die Herausarbeitung geschichtlicher, weltanschaulicher, philosophischer, politischer und ästhetischer Positionen.

„Wie bereits früher, enthielt das Tagebuch von 1876 - 77, philosophische Meditationen, Feuilletons, literarische Betrachtungen, didaktische Fingerzeige, belletristische Skizzen als auch Meistererzählungen.“
Maurina, Dostojewskij   S. 146
Diese Beschreibung darf man auch für das gesamte Erscheinen des Tagebuchs gelten lassen. Ebenso ist außerordentlich auffällig, dass seine Dichtung konträr zu seinen Beiträgen im Tagebuch steht. Gerigk beschreibt es pointiert:
"Wie die Dostojewskij-Forschung längst zu Recht vermerkt hat, wurden Dostojewskijs fünf große Romane von Doktor Jekyll geschrieben, sein `Tagebuch eines Schriftstellers´ aber von Mister Hyde."
Horst-Jürgen Gerigk   Dostojewskij und Martin Luther

„Allzu naiv meinte ich, dass es ein wirkliches Tagebuch sein wird. Ein wirkliches Tagebuch ist fast unmöglich; sobald man es publiziert, hat es etwas Dienstmäßiges. Es ist nicht möglich, vor Fremden zu beichten.“
1876 in einem Brief an C. Altschewskaja

Die Ausgabe des Bürgers, (Graschdanin)
in der erstmals Dostojewskis Rubrik Tagebuch eines Schriftstellers erschien.


Anmerkungen

1873
Er lieferte erste Texte für das Tagebuch eines Schriftstellers in Form von Beiträgen zum "Staatsbürger", wo er zu dieser Zeit als Redakteur angestellt ist.

1876
Seine Stelle als Redakteur hat er längst gekündigt und gibt das Tagebuch eines Schriftstellers nun im Selbstverlag heraus.

1878
Er stellte seine Arbeit am Tagebuch eines Schriftstellers vorübergehend ein, um sich der Arbeit an den Brüdern Karamasow zu widmen.

Seine feste und belegte Absicht, das Tagebuch weiterhin zu veröffentlichen, verhinderte sein Tod.
Die letzte Ausgabe erschien postum.

„Bei diesem `Tagebuch` handelt es sich um ein Fortsetzungswerk, das der Autor im Selbstverlag herausgebracht hat, um mit missionarischem Furor seine streitbaren Statements über Gott und die Welt, über Europa und Asien, über die Balkan- und die Judenfrage, vor allem aber über Russlands Gegenwart und Zukunft zum Besten zu geben. Dostojewski erweist sich hier als ein zutiefst reaktionärer, fundamental europakritischer und hemmungslos chauvinistischer, dabei fraglos gottgläubiger und zarentreuer Patriot, dem kaum etwas anzumerken ist von dem `allmenschlichen` Versöhnungswillen, den er zu gleicher Zeit wortreich zu bekunden pflegte.
( . . . )
Dostojewskis Wirkungsmacht bezieht ihre staunenswerte Energie gleichermaßen aus dem Fundus seiner ebenso abgründigen wie weitreichenden Gedankenwelt, die für Leser jeglicher politischen oder ideologischen Orientierung passende `Wahrheiten` bereithält, Wahrheiten für den Alltagsgebrauch ebenso wie solche, die Ewigkeitsanspruch haben.“
Neue Züricher Zeitung Online; Vor einer konservativen Revolution? Mai 2005

Sicherlich fasst diese Beschreibung einen Großteil dieser Publikation recht zutreffend zusammen. Das Tagebuch enthält indessen ferner folgende Erzählungen:

Bobok (1873)
Wlas (1873)
Bauer Maraj (1876)
Die Sanfte (1876)
Der Knabe mit dem Händchen (1876)
Der kleine Knabe am Weihnachtsabend beim Herrn Jesus (1876)
Traum eines lächerlichen Menschen (1877)


Stöbern Sie doch etwas in den INHALTSVERZEICHNISSEN aller erschienen Tagebücher.

Auch nicht der Beschreibung der NZZ zuzurechnen sind Dostojewskis hochinteressante Erörterungen über das russische Rechtssystem.

„Schon in der Meschtscherski-Zeitschrift `Der Staatsbürger` gab es unter diesem Titel eine ständige Rubrik, die beim Publikum anscheinend gut ankam. (. . .) Der tatsächliche Erfolg jedoch übertraf alle Erwartungen. Die Zahl der Abonnenten erreichte die 7.000-Grenze, und da Anna Grigorjewna die Zeitschrift im Selbstverlag herausgab, trug dieser Publikumserfolg dazu bei, Dostojewskis materielle Verhältnisse zu konsolidieren.“
Braun, Maximilian; Dostojewskij – Das Gesamtwerk als Vielfalt und Einheit S. 108

  Aus Manuskript Tagebuch eines Schriftstellers 1876-77

„Am 31. Januar 1881 erblickte nach des Dichters heißen Wunsche die erste und letzte Nummer des Tagebuchs eines Schriftstellers für das Jahr 1881 z e n s u r f r e i das Licht.“
Hoffmann, Dostojewsky S. 442