Apollinaria Prokofjewna Suslowa 1839 - 1918


„Ich hatte mich ihm liebend ganz hingegeben, ohne etwas zu verlangen oder zu berechnen. Er hätte ähnliches machen können! Er handelte aber anders."

Apolinaria Suslowa (Polina)

Der Vater, wohlhabender Fabrikbesitzer und ehemaliger Leibeigener, ließ seine beiden Töchter in einem teuren Moskauer Pensionat erziehen. Die jüngere Tochter, Nadeshda studierte anschließend Medizin in Zürich – sie war die erste Ärztin, die je in Russland praktizierte. Polina wollte Schriftstellerin werden.
Ab 1860 lebte die Familie in St. Petersburg. Souslowa schrieb sich an der Universität ein und war bald darauf Teil der revolutionären Studentenbewegung.

„Sie war die typische Frau der sechziger Jahre: unabhängig, ohne bürgerliche Vorurteile, innerlich ungehemmt, begierig nach intellektueller Betätigung. (. . .) Sie hatte eine unheimliche Macht auf die Menschen ihrer Umgebung, besonders über die Männer, die bedingungslos ihrem Bann verfielen."
Maurina, Zenta, Dostojewskij, Maximilian Dietrich Verlag 1952

Wohl enigmatisch schön, oft schwarz gekleidet, dunkle Stimme. Selbstbewusst, durchsetzungsfähig, leidenschaftlich.

„Nach Auffassung russischer Spezialisten ist das Verhältnis, mit oder ohne Einverständnis Dostojewskis, platonisch verlaufen. Jedenfalls führten die unberechenbaren Launen der Geliebten zu schweren Kämpfen. Polina Suslowa soll bis zu ihrem Tode dem Dichter die Anhänglichkeit bewahrt haben."
Meier-Graefe, Julius; Dostojewski, Insel Verlag 1988 S. 55

Polina Suslowa am 2. November 1865 in ihrem Tagebuch zu Dostojewskis Heiratsanträgen:
„Schon eine ganze Zeit lang trägt er mir seine Hand und sein Herz an, aber er ennuyiert mich nur.“

„Keine der Frauen, die in seinem Leben eine Rolle spielten, war von sanfter Taubennatur, alle waren mehr oder weniger Persönlichkeiten, Individualisten mit stark ausgeprägten, geistigen Zügen. Dostojewski begegnet Apollinaria Prokofjewna 1861 als seine erste Frau noch lebte. Noch als er bereits seine zweite Ehe mit Anna Grigorjewna geschlossen hatte, erregte es ihn tief, wenn jemand auch nur ihren Namen nannte.“
Maurina, Zenta, Dostojewskij, Maximilian Dietrich Verlag 1952

Stationen dieser unglückseligen Liaison finden Sie hier kurz zusammengefasst.


Dostojewski im April 1965 in einem Brief an Polinas Schwester:
„Polina ist eine große Egoistin. Egoismus und Ehrgeiz sind in ihr kolossal entwickelt. Sie fordert von den Menschen alles, sie fordert alle Vollkommenheiten, sie verzeiht keine einzige Unvollkommenheit in der Verehrung anderer guter Züge und sich selbst befreit sie von den geringsten Verpflichtungen anderen Menschen gegenüber.
Sie wirft mir bis heute vor, dass ich ihrer Liebe unwürdig war, sie beklagt sich und macht mir unaufhörlich Vorwürfe. (. . . ) Sie erlaubt keine Gleichheit in unseren Beziehungen. In ihren Beziehungen zu mir ist keine Spur Menschlichkeit. Sie weiß doch, dass ich sie bis heute liebe. Warum quält sie mich dann? Liebe mich nicht, aber quäle mich auch nicht.“
Dostojewski   Gesammelte Briefe 1833 - 1881; F. M. Dostojewski, Piper Verlag 1966

Aus einem Brief Dostojewskis an Apollinaria (Mitte 1866), also Monate nach seiner Heirat:
„O meine Geliebte, ich lade Dich nicht zu einem billigen, alltäglichen Glück ein. Ich achte (wie ich Dich immer geachtet habe) Deine hohen Ansprüche. Ich weiß, Dein Herz begehrte Verwirklichung im Leben und trotzdem hältst Du die Menschen entweder für göttliche, unendlich erhabene Wesen oder für Schurken und Betrüger . . . Lebewohl, Du meine Freundin in alle Ewigkeit.“
Maurina, Zenta, Dostojewskij, Maximilian Dietrich Verlag 1952

1868 eröffnet sie eine Mädchenschule auf dem Lande; im Ivanowo - Wosnessenski. Der Schulinspektor meldet dem Bildungsministerium: „Erstens trägt sie eine blaue Brille und zweitens hat sie kurze Haare. Ihre Ansichten sind liberal und sie geht nie in die Kirche.“
Die Schule wird daraufhin im Februar 1969 auf Drängen der Regierung bereits wieder „als eine gefährliche Brutstätte des Nihilismus“ geschlossen.


Gewiss ist, dass Sich Suslowa 1870 als Übersetzerin betätigt hat und Teilnehmerin eines Seminars für Frauenbildung an der Moskauer Universität gewesen ist. Danach zog sie zu ihrem Bruder, um sich der Erziehung seiner Kinder zu widmen.
Vgl. Heyden-Rynsch, im Nachwort Dostojewskis ewige Freundin

1880, heiratet Polina, noch während seines Studiums Wassili Rosanow, der sich intensiv mit dem Werk Dostojewskijs beschäftigt hatte und sich als dessen `Schüler` begriff.
„Ähnlich wie bei Dostojewski war sie wieder statt auf Geist auf Lust und Begierde gestoßen. (. . .)
Schon bald wurde das Zusammenleben zur Hölle. (. . .) „Nach sechs Jahren der gegenseitigen Tortur kam es zu einer endgültigen Trennung.“
Ebenda S. 170

Rosanow (ihr Ehemann) beschrieb sie so:
„Sie war ganz Katerina von Medici . . . gleichmütig hätte sie Verbrechen begangen . . . sie war wirklich großartig. Ich weiß, dass die Menschen völlig von ihr erobert, gefangen waren.“

1887 verließ sie Rosanow und kehrte an ihren Geburtsort Nischni Nowgorod zurück und widmete sich wohl der Bildung von Mädchen. Als Rosanow sie jedoch um die Scheidung bat, willigte sie jahrelang nicht ein.
„Die Erpressung war aber nicht einseitig. Rosanow weigerte sich seinerseits, Apollinaija einen eigenen Pass ausstellen zu lassen - die Freiheitsdurstige konnte somit nicht über ihre Bewegungsfreiheit verfügen. 1897 gab er nach, endlich bekam sie den ersehnten Reisepass, aber erst 1902 wurde die Trennung gerichtlich anerkannt.“
Heyden-Rynsch, im Nachwort Dostojewskis ewige Freundin S. 170

Wenn man will, kann man eine gewisse Parallele zu Dostojewski erkennen:
Nach dem „Emotions-Tsunami“ Suslowa heiratete Rosanow 1891 ein zweites Mal eine schlichte, demütige, gläubige Frau. Eine kirchliche Hochzeit konnte nicht stattfinden, da Suslowa einer Scheidung nicht zustimmte. Womanontop   
Auch Dostojewskis zweite Frau wies ein relativ schlichtes Wesen auf.
„Anna war vom Aussehen her alles andere als eine Polina Suslowa, und intellektuell gewiß keine Anna Krukowskaja.“
Kjetsa, Dostojewski S. 255
Für Rosanow als auch Dostojewski war es das Wichtigste, dass ihre Frauen bereit waren, sich ihnen unterzuordnen.


„Nach Jahren erschien sie einmal, tief verschleiert, ohne ihren Namen zu nennen, bei Dostojewski in seiner Wohnung und unterhielt sich mit ihm eine Weile wie eine Verehrerin seiner Werke, die sich gelegentlich bei ihm meldeten. Er erkannte sie nicht. Erst nachher wurde ihm plötzlich bewusst wer seine Besucherin war, und erzählte es belustigt seiner Frau.“
Doderer, Otto; Die Unnachgiebigen, Verlag Butzon & Berker 1950

In anderer Quelle wird das Jahr 1880 dafür angegeben. Diese Begebenheit darf angezweifelt werden. Seine Frau wäre wohl bis ins Mark erschrocken gewesen und hätte dies in ihren Tagebüchern festgehalten. Ebenso hätte sich Dostojewski vermutlich vor Gram gemartert, sie nicht erkannt zu haben. Auch seine Tochter schien ein Interesse entwickelt zu haben, ihren Vater in der Beziehung zu Suslowa souveräner aussehen zu lassen, als er es aller Wahrscheinlichkeit nach gewesen ist.

Erstaunlicherweise hat sie sich wohl 1906 der rechtsextremen Duma-Partei `Union des russischen Volkes` angeschlossen und auf Wunsch des ultrarechten monarchistischen Politikers Purischkewitsch die Leitung des Sewastopoler Zweiges übernommen, wo sie ihre letzten Lebensjahre verbrachte und 1918 verstarb.
In Anlehnung u. a. an topos.ru

„Moralisch und in ihrem Gefühlsleben kamen sie zwar einander nahe, aber in sexualibus muss da einiges doch dem Temperament der jungen Frau zuwider gelaufen sein. Die Perversionen des Liebhabers riefen in ihr eine instinktive Abscheu hervor. Sie hat bei Dostojewski die physische Liebe nicht als Überschwang vitaler Kraft erlebt, nicht als das gesunde Lachen des erlösten Fleisches, sondern vermutlich in den Konvulsionen einer durch Krankheit und Missglück verbitterten Wollust, die sich am Rande des Wahnsinns bewegte.“
Suslowa, Polina; Dostojewskis ewige Freundin, Ullsteinverlag, 1996 S. 155

„Sie scheint auf Dostojewski einen ungünstigen Einfluss ausgeübt und damit sein labiles seelisches Gleichgewicht weiter gestört zu haben.“
Nabokov, Die Kunst des Lesens S. 154


Apollinaria Prokofjewnas widerspruchsvolle, reizvolle Schönheit, ihre diabolische, bacchantische Natur hat Dostojewski vielfach geschildert: Raskolnikows Schwester Dunja, Aglaja und Natalja Filippowna im Idioten, Polina im Spieler, Jekaterina Iwanowna in den Karamasows, Lisa in den Dämonen, Natalja Wasiljewna im ewigen Gatten und Achmachowajs im Jüngling.
Vgl. Maurina, Zenta, Dostojewskij, Maximilian Dietrich Verlag 1952