Schein - Hinrichtung

„An der Ausarbeitung des Zeremoniells für die Hinrichtung hatte der Zar selbst aktiven Anteil. Alle Details, wie den Grundriss für das Schafott, die Kleidung der zu Erschießenden, deren weiße Hemden als Überwurf gedacht waren, die Soldateneskorte, die auf dem Platz sein musste und anderes mehr hatte der Zar im voraus bedacht.“Belschikow; Dostojewski im Prozess der Petraschewzwn S. 316
 
"So gab es mehrere Entwürfe darüber wie die vermeintliche Hinrichtung vollzogen werden sollte. Der Zar beabsichtigte selbst die Gräber schon auf dem Semjonow-Platz ausheben zu lassen, konnte sich aber wohl nicht durchsetzen. Die dann gültige Fassung des „festgesetzten Allerhöchsten Beschlusses“ (so wurde das Urteil in den offiziellen Dokumenten bezeichnet)  stammt vom 20. Dezember. Ein abgefeimtes Schauspiel."
Vgl. ebenda
 
Dostojewski in einem Brief an seinen Bruder Michail:
„Heute am 22. Dezember, wurden wir alle auf dem Semjonovschen Platz gebracht. Dort wurde uns das Todesurteil verlesen, man gab uns das Kreuz zum Kuss, über unseren Häuptern wurde das Schwert gebrochen und wir wurden fürs Begräbnis eingekleidet (weiße Hemden). Dann stellte man drei von uns vor die Pfähle, wo die Exekution stattfinden sollte. Ich war der sechste in der Reihe, wir wurden in Gruppen zu drei aufgerufen, und so war ich in der zweiten Gruppe und hatte nicht als eine Minute zu leben . . . Ich hatte gerade noch Zeit Pletschejew und Durow, die neben mir standen, zu umarmen und Abschied von ihnen zu nehmen. Endlich wurde alles abgeblasen, diejenigen, die schon an die Pfähle gebunden gewesen waren, wurden zurückgebracht, und uns wurde verlesen, dass seine Majestät der Kaiser uns das Leben geschenkt habe.“
Lavrin, Janko; Dostojewskij  S. 23


 Hinrichtungsszene auf dem Semjonow-Platz

Dostojewski schilderte das Erleben dieser Minuten drei Mal:
- Am Tag seiner Hinrichtung in einem Brief an seinen Bruder Michael
- 1867 im Roman der Idiot
- 1873 im Tagebuch eines Schriftstellers


„Man hatte uns die Kleider ausgezogen, sodass wir mehr als 20 Minuten bei einer Kälte von 22 Grad unter Null zubrachten . . . Manche von uns haben Ohren und Zehen erfroren dabei.“
Lavrin, Janko; Dostojewskij  S. 22 ff

"Tausende von schweigenden Zuschauern auf dem Semjonow-Platz sollten ebenso wie die „politischen Verbrecher“ selbst, Strenge und Milde des herrscherlichen Willens erfahren. Mit verbundenen Augen hörten die Intelligenzler den Exekutionsbefehl; dann wurde die Begnadigung verkündet."
Gesammelte Briefe - Dostojewskij F. Hitzer; Piper S. 536

Briefausschnitt, erschienen in Frankfurter Zeitung vom Juni 1928

Die Todeskandidaten treffen auf dem Petersburger Semjonow-Platz ein. Es ist der frühe Morgen des 22. Dezember 1849. Die Pfähle sind bereits eingerammt.  

"Man stellte sie in einer bestimmten Ordnung auf und führte sie dann auf das Schafott. Nach Speschnjoffs Aussage wollten sie sich nun begrüßen und miteinander unterhalten, aber das wurde ihnen nicht erlaubt.
Als sie auf dem Schafott zu beiden Seiten aufgestellt waren, auf der einen Seite 9, auf der anderen 11, trat der Auditor in die Mitte der Richtstätte und verlas das Todesurteil. Plötzlich brach Sonnenschein durch die Wolken, und Dostojewski, der neben Durow stand, sagte zu diesem: `Das kann doch nicht sein, dass man uns hinrichtet.` Als Antwort darauf wies Durow auf einen Lastwagen, auf dem, wie ihm schien, Särge aufgeladen und mit einer Bastmatte bedeckt waren (wie es sich später herausstellte, befanden sich auf diesem Wagen ihre Sträflingskleider mit den Halbpelzen für die Reise). Nunmehr, so erzählte Dostojewski, war jeder Zweifel ausgeschlossen, und für sein ganzes Leben prägten sich ihm die Worte ein, die sich in diesem verhängnisvollen Schriftstück so oft wiederholten: `zum Tode durch Füsilieren verurteilt.` Doch bei alledem prägte sich ihm ebenso deutlich auch etwas so Nebensächliches ein, wie z. B., dass der Auditor nach der Verlesung des Urteils das Schriftstück zusammenfaltete, in die Seitentasche seines Mantels schob und dann von dem erhöhten Schafott hinabstieg. Nach ihm kam der Geistliche auf das Schafott, das Kreuz in der Hand, und forderte zur Beichte auf. Doch nach Dostojewskis Aussage hat sich von ihnen keiner zur Beichte gemeldet, außer Schaposchnikoff (seines Standes Kleinbürger), aber das Kreuz haben sie alle geküsst."
Miller, Orest (Hrsg.); Dostojewski: Autobiographische Schriften - Kapitel 4

Ein Offizier verliest das Todesurteil. Man wirft den Delinquenten die weißen Sterbekittel über, die Degen werden über ihren Köpfen zerbrochen. Die ersten drei (Petraschewski, Mombelli und Grigorjew) bindet man an den Pfählen fest und wirft ihnen die Kapuze über die Augen, die Soldaten halten die Gewehre schussbereit, dann ein Trommelwirbel.
Den zum Tode Geweihten reißt man die Kapuzen vom Kopf, bindet sie von den Pfählen los. Ein Kurier des Zaren verkündet die Begnadigung. Die Todesstrafe ist in Zwangsarbeit umgewandelt.

"Petraschewski und Speschnjow mussten für die Inszenierung dieser Tragikomödie dreitausend Rubel herausrücken. Nur der Bauer, der das Schafott aufbaute, wurde allergnädigst vom Zar bezahlt."
Kjetsaa (Paperback) S. 116

"Er selbst also erlebte den entscheidenden Augenblick zwischen Leben und Tod, jenen Moment, der im Weder-Noch hängen bleibt und somit der einzig echte ist – die höchst reale Erfahrung des Augenblicks."
Burkhart, Maximilian; Zum Ende ist der Tod

Genau diesen Moment bzw. Vorgang beschreibt Stefan Zweig in seinem siebenseitigen Gedicht "Heroischer Augenblick".
Stefan Zweig; Sternstunden der Menschheit.

Auch Baron Wrangel war bei diesem makabren Schauspiel zugegen.

Bereits zwei Tage später wird Dostojewski mit vielen anderen nach Sibirien deportiert.
18 Tage und Nächte wird er bis zunächst Tobolsk unterwegs sein. Ohne Zwischenhalt. Nur kurze Unterbrechungen durch den Pferdewechsel alle 12 Stunden.
Vgl. Rachmanowa Bd. 2 Seite 26

Hierbei hatte Dostojewski noch "Glück". Viele andere mussten den Weg mit ihren Fußfesseln gänzlich zu Fuß antreten.