und ein Verdacht

Die Seite dreht sich um die argwöhnische Mutmaßung, des Missbrauchs einer Minderjährigen durch Dostojewski. Diese Mutmaßung erwächst aus der Interpretation mehrerer Quellen. Keine ist jedoch als abschließend substantiell zu bewerten. Es werden wiederholt Bezüge zu Stawrogins Beichte aus den "Dämonen" hergestellt.


"Möglicherweise hat sich Dostojewski diese Episode ausgedacht, um Turgenjew zu `ärgern`, zu täuschen. Jedenfalls erzählt Jassinski in seinen Erinnerungen durchaus bestimmt davon, wie Dostojewski einmal zu Turgenjew kam, um ein angeblich von ihm begangenes Verbrechen zu gestehen:

`Ach Iwan Sergejewitsch, ich bin zu Ihnen gekommen, um an der Höhe ihrer ethischen Anschauungen meine abgrundtiefe Niedrigkeit zu messen. Und als sich Turgenjew über das Gesagte empörte, bemerkte Dostojewski beim Weggehen: Aber ich habe das doch alles erfunden, Iwan Sergejewitsch, einzig aus Liebe zu Ihnen und um sie zu unterhalten.`

Jassinskis Worten zufolge hat Turgenjew bereits nach Dostojewskis Weggang zugestimmt, dass der Schriftsteller die ganze Episode ausgedacht hat."

Dostojewskaja A. G.; Erinnerungen, Rütten und Loening Berlin 1976


Meier-Graefe hat in seinem Buch „Dostojewski“ eine interessante Schlussfolgerung getroffen:

„Wenn schon diese phantastische Beichte stattgefunden hätte, könnte man noch weiter gehen und annehmen, Dostojewski habe der Selbstdemütigung willen sich an die Stelle Stawrogins gesetzt, ohne die Tat begangen zu haben.“


 © Clemens Hillebrand


Auch Andre Gide selbst, will von einem Zeitgenossen Dostojewskis Ähnliches berichtet wissen und lässt sich dazu eine ganze Seite aus.

Gide, Andre; Dostojewski   Verlag Das goldene Flies, Bürgers Taschenbuch,  S. 79    
Siehe ebenso:
Zypkin, Leonid; Ein Sommer in Baden-Baden, Berlin Verlag  2006, S. 79


"Es existiert das Manuskript eines ungedruckten Kapitels aus den `Dämonen` mit der Beichte Stawrogins, in der er unter anderem von der Schändung eines kleinen Mädchens erzählt. Diese Beichte ist eine der stärksten Schöpfungen Dostojewskis, und sie klingt so erschreckend aufrichtig, daß man diejenigen, die dieses Kapitel selbst nach dem Tode Dostojewskis nicht veröffentlichen lassen wollen, wohl verstehen kann: hier liegt etwas, was »die Grenzen« der Kunst überschreitet: es ist zu lebenswahr. Doch im Verbrechen Stawrogins, selbst da, wo es am niedrigsten ist, kann man noch immer einen gleichsam unverlöschlichen dämonischen Abglanz dessen, was Schönheit war, die Majestät des Bösen erkennen. Dostojewski schreckt aber auch vor der Schilderung der alltäglichsten und gemeinsten Unzucht nicht zurück.

(. . .)

In allen diesen Schilderungen Dostojewskis liegt eine solche Kraft und Kühnheit, eine solche Fülle neuer Entdeckungen und Offenbarungen, daß sich im Leser oft die beängstigende Frage regt: konnte er denn dies alles nur durch objektive Beobachtungen an anderen Menschen erfahren?

(. . .)

Doch ich wiederhole, daß der Erforscher der Persönlichkeit Dostojewskis hier im Dunkeln tappt."

Bahr, Mereschkowski; Bierbaum; Dostojewski, Piper Verlag 1914


Warwara Timofejewa, eine Kollegin zu Dostojewskis Redakteurszeit bei der Zeitschrift "Der Staatsbürger", äußerte ihm gegenüber, dass sie lebe, um zu schreiben. Daraufhin antwortete ihr Dostojewski:

"Sie leben wirklich dafür? Nun dann sollten Sie einfach mit dem Schreiben beginnen. Aber merken Sie sich meinen Rat: Nie versuchen, etwas zu erdichten, weder Sujet noch Intrige, sondern das verwenden, was das Leben einem bietet. Es ist so unendlich ergiebiger als alles, was wir uns ausdenken! Die Phantasie gibt Ihnen nie und nimmer so viel wie das Leben, ganz gleich, wie gewöhnlich und alltäglich es erscheint."

Kjetsaa; Der gewaltigste unter den russischen Giganten 


Katkow war gegen eine vollständige Veröffentlichung der "Dämonen" und lehnte es ab, den als "Die Beichte Stawrogins" bekannten Abschnitt zu veröffentlichen.


„Übrigens kommt das Verbrechen Stawrogins bereits bei Raskolnikow vor. In der Unterhaltung bei der Mutter Raskolnikows berichtet Luchin von dem Gerücht, das Swidrigailow verdächtigt, ein taubstummes Mädchen von vierzehn bis fünfzehn Jahren in derselben Weise misshandelt und zum Selbstmord getrieben zu haben. (4. Teil, Kapitel 2)“

Meier-Graefe; Dostojewski


"Karl Nötzel hat die Unwahrscheinlichkeit der Legende aufgedeckt und mit Recht die Fahrlässigkeit solcher `Forschungen` gerichtet. Er behauptet, allen Gerüchten dieser und ähnlicher Art nachgegangen zu sein und immer nur `unhaltbaren Quatsch` gefunden zu haben."

Ebenda


"Das Gerücht geht auf einen Brief Strachows an Lew Tolstoij vom 28. November 1883 zurück. (. . .) Strachow behauptet, die Geschichte von Professor Wiskowatow gehört zu haben, der Dostojewski nahegestanden hat. Der ganze von Verleumdung und Dummheit strotzende Brief ist so offensichtlich von dem Wunsch diktiert, selbst mit plumpsten Argumenten Tolstoij auf Kosten Dostojewskis zu schmeicheln, daß sich die Nachrede von selbst richtet."

Ebenda S. 278


Diesen Gerüchten steht A. G. Dostojewskaja völlig hilflos und überfordert gegenüber:


Strachow habe Dostojewski Stawrogins Tat zugeschrieben "wobei er vergaß, daß ein so ausgeklügeltes Laster große Ausgaben erfordert und nur für sehr reiche Leute erschwinglich ist, mein Mann aber sein Leben lang in finanzieller Bedrängnis war."

A. G. Dostojewskaja; Lebenserinnerungen S. 497


"Strachows Hinweis auf Professor Wiskowatow verwundert mich umso mehr, als der Professor niemals bei uns war; auf Fjodor Michailowitsch aber hatte er einen ziemlich oberflächlichen Eindruck gemacht.

(. . .)

Ich kann bezeugen, dass meinem Mann ungeachtet der mitunter äußerst realistischen Darstellung niedriger Handlungen, die die Helden seiner Werke begingen, sein Leben lang `Lasterhaftigkeit` fremd war."