Darowoje




Das städtische Leben war nicht die ganze Kinderwelt Dostojewskis. Vier Monate jeden Jahres, verbrachte Dostojewski mit seiner Mutter und seinem Bruder auf diesem Gut (ca. 160 km von Moskau entfernt). Diese Reisen befreiten ihn von den Launen seines Vaters.

Es ist davon auszugehen, dass wenn Dostojewski später von „einer glücklichen und friedvollen Kindheit" spricht, diese Aufenthalte meint. In Darowoje wurde Dostojewski oft mit dem Spitznamen „Feuergeist“ gerufen.

Auf diesem Landgut begeben sich mehrere Vorfälle, die Dostojewski nachhaltig und tief geprägt haben. Vieles daraus findet in Dostojewskis Werken seinen Wiederhall, so das Malträtieren eines Pferdes zu Tode in: Raskolnikows Traum aus "Schuld und Sühne" (1866) oder das Beschützen des Kindes Dostojewskis vor einem vermeintlichen Wolf durch einen Bauern in: Der Bauer Marej aus "Tagebuch eines Schriftstellers" (1876)

 Das Haus in Darowoje

Dostojewski liebte die ausgedehnten Landschaften und verbrachte daneben viel Zeit im Wald. Er romantisierte die einfache Armut der Landarbeiter, bewunderte die Energie ihres Glaubens und entwickelte eine tiefe Sympathie für ihre Härten.

1833 brach ein Feuer aus und zerstörte beide Dörfer seines Vaters. Es war alles verkohlt und die Leibeigenen ohne Obdach. Dies hinterließ bei Dostojewski einen bleibenden Eindruck.
Die verbrannten Landschaften finden sich im Werk „Die Brüder Karamasow“ als Traum des Dimitri wieder.


Dostojewskis Aufenthalte in Darowoje:

1832
Ende April - Anfang Herbst
1833
Ende Juni - Anfang Juli bis 21. August
1834
Sommer
1835
6. Juli - 19. August
1836
Sommer
1877
20 . - 21. Juli


Aus den Erinnerungen Dostojewskis Bruder Andrej
"Im Jahre 1831 kauften unsere Eltern im Gouvernement Tula, 150 Werst von Moskau, ein kleines Landgut, wohin von nun an in jedem Frühjahr unsere Mutter mit uns Kindern übersiedelte. Den Vater hielt der Dienst in Moskau zurück. Nur im Hochsommer kam er auf ein paar Tage hinaus. In den ersten Jahren, als meine älteren Brüder noch nicht im Pensionat waren, nahm die Mutter sogleich alle Kinder mit und wir verbrachten den ganzen Sommer auf dem Lande. Die Fahrt hinaus aufs Gut war für uns Kinder ein Ereignis, das wir mit heißer Ungeduld herbeisehnten. Wir fuhren mit unseren eigenen Gutspferden und dem Kutscher Ssemjon Schiroki, der im Rufe stand, der beste Pferdekenner und Kutscher zu sein.
(. . .)
Die Fahrt dauerte zwei Tage, am dritten langten wir an. Während der Fahrt war Fjodor immer in einem geradezu fieberhaften Zustande. Er wählte sich auch immer den Platz auf dem Bock, neben dem Kutscher, und so oft der Wagen hielt, und war's auch nur auf eine Minute, sprang er ab, um sich alles, was in der Nähe war, anzusehen, oder er guckte gleichfalls an den Pferden herum, wenn der Kutscher Ssemjon, der Breite genannt, an ihnen etwas zu schaffen hatte.

Andrej Michailowitsch Dostojewski
 (1825 - 1897)


Die Gegend, in der unser Landgut lag, war sehr anheimelnd und malerisch. Das kleine mit Lehm bestrichene Häuschen, das aus drei Zimmern bestand, lag in einem Lindenhain, der ziemlich groß und schattig war. Ihn trennte nur ein schmales Feld von einem dichten Birkenwalde, in dem es eine recht unheimliche, wilde, von kleinen Schluchten oder Erdklüften durchzogene Stelle gab. Dieser Wald hieß Brykowo (den Namen finden wir gleichfalls, und zwar in den »Dämonen«) und wurde von meinem Bruder sehr geliebt, weshalb wir ihn unter uns bald nur noch »Fedjäs Wald« nannten. Doch die Mutter erlaubte uns nur ungern, in diesen Wald zu gehen, da es hieß, dort seien Schlangen, und sogar Wölfe kämen dorthin."
"Auf dem Lande waren wir fast den ganzen Tag im Freien, und wenn wir nicht spielten, verbrachten wir Stunden um Stunden auf den Feldern, wo wir der schweren Feldarbeit der Bauern zusahen. Die Bauern liebten uns alle, aber Fjodor liebten sie doch ganz besonders. In seiner Lebhaftigkeit wollte er alles selbst mitmachen. Bald bat er, das Pferd mit der Egge führen zu dürfen, bald ging er neben dem Pflug einher und trieb das Pferd an, u. a. m. Auch liebte er, mit den Bauern Gespräche anzuknüpfen, und sie unterhielten sich gern mit ihm.

Doch das größte Vergnügen war für ihn, irgend einen Auftrag ausführen oder irgend eine Gefälligkeit erweisen oder sich sonstwie nützlich machen zu können. Einmal hatte eine Bäuerin in der Erntezeit aus Versehen den Wasserkrug umgeworfen, den sie für ihr kleines Kind mitgenommen hatte. Da nahm mein Bruder sofort den Krug und lief ins Dorf (etwa 1,5 Werst weit) und brachte zur Freude der Mutter den Krug mit frischem Wasser zurück. Er wusste es auch selbst, dass man ihn liebte.

Unser Landgut bestand aus zwei kleinen Dörfern, die 1+½ Werst voneinander lagen. In dem einen, in Darowoje, wohnten wir, das andere hieß Tschermaschnjä, und dorthin gingen wir oft zu Fuß. Fjodor ritt manchmal hinüber, und erbot sich immer als erster dazu, wenn die Mutter einen Auftrag zu erteilen hatte."
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Gegen Lebensende besuchte Dostojewski, der während der Aufteilung des Erbes an seine Schwester, dort zwei Tage blieb. Laut seiner Frau habe er nach seiner Rückkehr  viel über diese Reise gesprochen und sich seiner "Dorfkindheit" erinnert.