Sand, George (1804 - 1876)

George Sand, eigentlich Amantine Aurore Lucile Dupin de Francueil, war eine französische Schriftstellerin, die neben Romanen auch zahlreiche gesellschaftskritische Beiträge veröffentlichte. 
George Sand war Dostojewski seit dem Tod seiner Mutter bekannt. Er war von ihren gefühlvollen Liebesromanzen, die nahezu ausnahmslos mit der Heirat der zwei Protagonisten enden, begeistert. Mit ihren spätromantischen Anklängen fand sie bei  ihm einen guten Resonanzboden.
„Ich weiß noch, ich fieberte, nachher die ganze Nacht. Ich glaube mich nicht zu täuschen, wenn ich sage, dass George Sand, bei uns alsbald fast den ersten Platz einnahm in der Reihe jener ganzen Plejade neuer Schriftsteller.“ An Bruder Michail im Oktober 1845: „Dergleichen hat es in unserem Jahrhundert noch nicht gegeben. Es kommen darin wahre Urbilder von Menschen vor.“
 
Sie weckte bei Dostojewski „Entzücken und Verehrung“ Ihre Romane gaben ihm „Freuden, ja Glück“.
Vgl. Tagebuch

Doch verständlich, stellten die Personen, wie so oft bei Sand, weniger Individuen und Charaktere als vielmehr Typen und Ideen. Ein Prinzip, das Dostojewski in all seinen großen Romanen ebenfalls anwandte.
 
Sand lehnte die Eindimensionalität des tradierten Frauenbildes ab und regte in ihren Romanen an, persönlicher Vielschichtigkeit mehr Platz einzuräumen.
 

Sand „spielte auch für die Geistesgeschichte im Russland des 19. Jahrhunderts eine wichtige Rolle. Jeder Roman war ein Ereignis und wurde leidenschaftlich diskutiert.“
Hitzer, Briefe S. 687
 
Sie entsprach damit in dem geistig so geknechteten Russland Nikolais I. gerade den dringendsten und vornehmsten Bedürfnissen der russischen Jugend.
Vgl. Nötzel, Dostojewski S. 50
 
Belinski und Dostojewski lagen in den vierziger Jahren bei der Bewertung von Sands Romanen auf gleicher Wellenlänge. Belinski nur mit weiterem Horizont, denn seine Kritik zählte besonders auf die „ungleiche Ehe", deren Idealisierung er als Westler den Slawophilen vorwarf. Die naturrechtliche Gleichsetzung der Geschlechter voraussetzend, forderte er, der Frau die Welt des Wissens und der Künste zu erschließen. Dostojewskij ebenso - jedoch nur in Bezug auf die Ehe. Ihre „sozialistischen” Romane und Ihre damit formulierte Utopie vom Verschmelzen der sozialen Klassen nährte zudem die Begeisterung.
 
Dostojewski weiß 1861 in der Wremja zu berichten: „Wir stürzten uns einzig und allein auf Georg Sand – und mein Gott, wir haben damals alles über dem Lesen vergessen.“
 
Ab 1840 zählten zu den illustren Gästen Sands unter vielen anderen Pierre Leroux, Eugene Delacroix, Honore Balzac, Heinrich Heine, Bocage, Marie Dorval und Adam Mickiewicz.
 
WERK
„Ihr Ideal suchte sie in der frei eingegangenen Liebesbindung. Dazu kam der sozial- und zeitkritische Bezug. Idealität, moralische Reinheit, Befreiung der Frau aus der Unterordnung in einer von Männern und für Männer geschaffenen gesellschaftlichen Ordnung. Das waren wesentliche Züge ihrer Werke.
 
Sie erhöhte traditionelle weibliche Eigenschaften wie die Güte, die Kraft zur Hingabe, die Selbstüberwindung und die Leidensfähigkeit.“
Jaskolka; Zwischen weiblicher und männlicher Identität.
George Sand in ihren Briefen S. 142
 
Ihre Romane waren „weder naiv-vereinfachend noch radikal-tendenziös gemeint.“
Armin Strohmeyer, Georg Sand S. 129
 
Sie trat ebenfalls dafür ein, dass sich die Frau ihr ureigenes Recht auf Lebensausgestaltung und gewünschte Liebe nehmen solle. Ihre Romane waren jedoch keine bedingungslose Kampfansage. Sie war keine Feministin und setzte sich nicht für die Rechte der Frauen ihrer Zeit ein. Sie verteidigte eben die freie Entscheidung der Menschen.
 
Ihre ersten Bücher setzten sich mit dem „tragischen Problem auseinander, dem sich zahlreiche Frauen in der Ehe ausgesetzt sahen, insbesondere jene, die, fast noch Kinder, an mehr oder weniger alte Männer verheiratet wurden, wobei konventionelle und finanzielle Rücksichtsnahmen die Hauptrolle spielten.“
George Sand; Geschichte meines Lebens – eine Auswahl S. 21
 
Aufschlussreich für die Einordnung ihres Oevres in Bezug auf ihre ideologische Vereinnahmung von außen. Sand in einem nicht abgesandten Brief an Flaubert: „Ich verfechte keine Theorien. Ich tue nichts anderes, als Fragen aufzuwerfen, und mir Lösungsvorschläge anzuhören, die einmal in die eine, mal in die andere Richtung weisen.“
Vgl. Armin Strohmeyer, Georg Sand S. 215
 
PERSON
 „ . . . doch sie predigte keineswegs nur von der Frau allein und erfand überhaupt keine `freie Frau`. George Sand gehörte keiner Bewegung für Frauenrechte an.“
Pietrow-Ennker; Russlands "neue Menschen"  S. 205
Sand hat ihre Weiblichkeit je verleugnet. Im Gegenteil. Sie lebte sie in vollen Zügen aus.
 
„Daneben präsentiert sie sich aber auch als eine aktive und selbstbestimmte Frau, die eine Trennung von ihrem Ehemann erwirkte, als eine starke Familienfrau und alleinerziehende Mutter, die mit ihrer literarischen Tätigkeit nicht nur die Ihrigen versorgte und ernährte, sondern ebenso an Autorität und öffentlichem Ansehen gewann. Auch ihr politisches und soziales Interesse spiegelt sich in der Korrespondenz wider.“
Jaskolka; Zwischen weiblicher und männlicher Identität
 
Ihr Motto nach dem Scheitern ihrer Ehe lautete „Ich habe mich nie gefragt, warum ich dieses oder jenes wollte. Mein inneres Selbst hat immer stolz gesagt: Weil ich es eben will.“ Ihr Prämisse – ein Leben lang.
 
TRADITION
So hatte sie auch kein generelles Problem, sich in einer traditionellen Ehe wiederzufinden und war durchaus bereit, die Rolle der mustergültigen Ehefrau zu übernehmen. Sand an ihre Freundin de Wismes, über ihre frische Ehe: „Aber welch nie versiegender Glücksquell auch, wenn man sich dem unterordnet, den man liebt! Jedes Entsagen ist eine Freude.“
Sand; Briefe, Band 27 S. 16.
 
Diese absolute Unterordnung war durch sie keineswegs negativ belegt.
 
Mit moderner Emanzipation hatte sie vordergründig wenig im Sinn. Zu erkennen in einem Brief nach dem Bruch einer Beziehung 1833: „Vielleicht hätte er mich geliebt; und hätte er mich geliebt, dann hätte er mich unterworfen, und wenn ich mich einem Mann hätte unterwerfen können, würde ich gerettet sein, denn die Freiheit zerrt an mir und bringt mich um.“
George Sand; Geschichte meines Lebens – eine Auswahl S. 22
 
Es sollte anders kommen. Sie weigerte sich, der Gesellschaft wegen ein Leben zu führen, in dem sie nicht glücklich war und rebellierte somit gegen die bestehenden moralischen Vorstellungen.
 
  
SICHT DOSTOJEWSKIS
„Das war ja eine unserer (ja, unserer) Zeitgenossinnen, im vollen Sinne des Wortes, diese Idealistin der dreißiger und vierziger Jahre.“
Tagebuch eines Schriftstellers S. 197
 
Dostojewski hegte lebenslange Begeisterung für die Schriftstellerin, nicht aber den Menschen George Sand. Die schwieg er tot.  Dostojewski wird sehr bewusst die Autorin bis zu seinem Tode in den Himmel gelobt haben und nicht die Person Sand und deren freien selbstbestimmten Lebenswandel. Zur Person reicht es bestens zu einem Seitenhieb. „Selbst die zweifellos überragende Künstlerin Georg Sand hat sich nicht selten mit ihren weiblichen Eigenschaften geschadet.“
 
Besieht man sich die Vita George Sands in Verbindung mit ihrem Werk, greift Dostojewski mit seiner Wertung zu vereinnahmend und zu einseitig. Seine Wahrnehmung war bewusst selektiv, denn intellektuell war er zweifelsfrei in der Lage eine nüchterne Betrachtung zu vollziehen.
 
Dostojewski ordnete George Sand als bestes Beispiel für einen Volksdichter ein.
Hitzer;  Briefe S. 644
 
Als Redakteur des Staatsbürgers im Jahr 1873 auf das Ansinnen einer jungen Studentin, schreiben zu wollen, antwortete ihr Dostojewski: „Es gibt nur eine Schriftstellerin auf der ganzen Welt, nur eine einzige, die diese Bezeichnung verdient! Nämlich Georg Sand!"
Kjeetsa; Dostojewskij - Sträfling - Spieler - Dichterfürst S. 355
 
1876 widmete er in seinen Tagebüchern Sand die Artikel George Sands Tod und Ein paar Worte über Georg Sand, genauer besehen denen ihrer Werke, die er für sein Weltbild tauglich hielt. Um die ungeheure Außergewöhnlichkeit Sands Lebens wusste Dostojewski. Aber er stellte gezielt nicht auf die Person ab, blendete sie aus und machte sie an den Punkten fest, die ihm lieb waren und überhöhte ihr Schaffen. Von ihrem wahrhaft emanzipierten Leben findet sich aus seiner Feder kein Wort.
 
So verpasst er bestenfalls ihrem Lebensende seinen selektiven Anstrich, mit ideologischem Zaunpfahl-Wink: „Man berichtet von ihr, dass sie eine prachtvolle Mutter gewesen sei . . . und gestorben als Freund aller Bauern in ihrem Umfeld.“
Tagebuch eines Schriftstellers Juni 1876 S. 211