Paris


"Die fluchtartige Reise führte ihn zuerst nach Paris (`eine abscheulich traurige Stadt`), aber er sucht hier nicht die Begegnungen mit Flaubert oder Victor Hugo, sondern verbarrikadiert sich hinter Heimweh und übellaunigem Selbstmitleid."
Glunk; Dostojewskijs Schuld und Sühne S. 28
 


Paris 26. Juni 1862 - Dostojewski an Strachow:
"Paris ist eine höchst langweilige Stadt, und gäbe es hier nicht eine Fülle wirklich außerordentlich bemerkenswerter Dinge, könnte man wahrhaftig vor Langeweile sterben
Die Franzosen sind bei Gott ein Volk, von dem einem übel wird. (…) Der Franzose ist still, ehrlich, höflich, aber er ist falsch, und Geld bedeutet ihm alles. Keinerlei Ideal. Nicht nur Überzeugung, auch Denken kann man von ihm nicht verlangen. Die Allgemeinbildung steht auf einer extrem niedrigen Stufe.“
Schröder, Ralf; Dostojewski - Briefe Band 1, Insel Verlag  S. 267

 Paris 1860  
 
Von den Erfahrungen seiner ersten Auslandsreise im Jahre 1862, wo er unter anderem Paris besuchte, berichtet er in seinen "Winteraufzeichnungen über Sommereindrücke" (1863 erschienen)
 
"Und so war ich denn in Paris ... Doch erwarten Sie nicht, dass ich Ihnen jetzt viel von der Stadt selbst erzählen werde. Ich denke, Sie haben über Paris als Stadt bereits so viel in russischer Sprache gelesen, dass es Ihnen schließlich schon zum Überdruß geworden ist.  Außerdem sind Sie ja selber dort gewesen und haben sich gewiß alles viel besser gemerkt als ich. Ich konnte es im Auslande nun einmal nicht ausstehen, alles nach dem Führer zu besichtigen, nach dem Gesetz, aus Pflicht als Reisender, und so habe ich denn an manchen Orten so berühmte Sehenswürdigkeiten nicht gesehen, dass ich mich sogar schäme, sie zu nennen. Auch in Paris habe ich vieles nicht gesehen. Ich werde deshalb auch nicht sagen, was ich dort nicht gesehen habe, aber dafür sage ich folgendes: ich habe für Paris eine Bezeichnung gefunden, ein Epitheton, und bestehe darauf, dass es richtig ist. Nämlich: es ist die sittlichste und tugendhafteste Stadt auf dem ganzen Erdenrund. Welch eine Ordnung! Welch eine Vernünftigkeit! Was für genau bestimmte und dauerhaft eingebürgerte Verhältnisse; wie ist alles sichergestellt und vorliniert; wie sind alle zufrieden und vollkommen glücklich, und wie haben sie sich alle mit Fleiß und Mühe schließlich selbst so schön zu der Überzeugung gebracht: sie seien nun wirklich zufrieden und vollkommen glücklich und ... und ... und auf diesem Punkt sind sie nun stehen geblieben."
 
 
"Ja, Paris ist eine bewundernswerte Stadt. Und was für ein Komfort, was für alle möglichen Bequemlichkeiten für jene, die das Recht auf Bequemlichkeiten haben, und wiederum: welch eine Ordnung, welch eine... man möchte sagen, Windstille in der Ordnung. Ich komme immer wieder auf diese Ordnung zurück. In der Tat, noch ein Weilchen und das eineinhalbmillionenköpfige Paris wird sich in irgend so ein in Windstille und Ordnung versteintes deutsches Professorenstädtchen verwandeln, von der Art zum Beispiel irgendeines Heidelberg. Dahin geht nun mal seine ganze Neigung. Und als ob es ein Heidelberg nicht auch in großem Maßstabe geben könnte? Und welch ein Reglement in allem! Verstehen Sie mich nicht falsch: ich meine hiermit weniger ein äußeres Reglement, das belanglos wäre (im Verhältnis, natürlich), sondern die kolossale innere, geistige, aus der Seele hervorgehende Vorschriftsmäßigkeit. Paris engt sich ein, Paris verkleinert sich gern und mit Liebe, es kauert sich gerührt zusammen."
Auszüge aus dem 5. Kapitel
 
 Palais Royal in Paris
 
"Betrachtet man abends im Palais-Royal das Bild, das sich dort im großen Hof bis elf Uhr nachts dem Auge bietet, so ist man unfehlbar versucht, eine Träne der Rührung zu vergießen. Um die Zeit ergehen sich nämlich dortselbst unzählige Ehemänner mit ihren unzähligen Epousen am Arm in der milden Abendluft, indes ihre reizenden, wohlerzogenen Kinderchen ringsum spielen. Dazu plätschert das Springbrünnlein und das eintönige Rauschen seines Wassers erinnert einen an etwas Ruhiges, Stilles, Tagtägliches, Beständiges, Heidelbergisches. Und so plätschert ja nicht nur ein einzelnes Springbrünnlein in Paris: der Springbrünnlein gibt es dort viele und überall ist es dasselbe, so dass wahrlich das Herz sich freuen kann."
 
 
"Das Bedürfnis nach Tugend ist in Paris nicht zu löschen. Der Franzose von heute ist ernst, solide und im Herzen oft sogar gerührt, so dass ich eigentlich nicht verstehe, warum ihm noch immer so furchtbar bange ist vor irgendetwas, bange sogar trotz der ganzen gloire militaire, die in Frankreich ja so floriert und für die Jacques Bonhomme so teuer zahlt. Der Pariser liebt es unendlich, Geschäfte zu machen, doch ich glaube, selbst wenn er seine Geschäftchen abwickelt oder Sie in seinem Laden nach allen Regeln der Kunst übers Ohr haut, tut er das nicht einfach um des Gewinnes willen, wie es früher geschah, sondern aus reiner Tugend, aus einem gewissen heiligsten Pflichtgefühl. Ein Vermögen aufzuspeichern und möglichst viel Sachen zu besitzen, das ist zum Hauptgesetz der Sittlichkeit, ja zum Katechismus des Parisers geworden. Das war allerdings auch früher schon so, jetzt aber, jetzt hat das ein gewisses,   sozusagen heiliges Ansehen bekommen. Früher hatte außer dem Gelde immerhin auch noch manches andere Geltung, so dass auch ein Mensch ohne Geld, wenn er statt des Geldes andere Eigenschaften besaß, noch auf eine gewisse Achtung rechnen konnte; jetzt aber ist das einfach ausgeschlossen. Jetzt muss man sich zunächst Geld verschaffen und sich obendrein möglichst viele Sachen anlegen, dann erst kann man auf eine gewisse Achtung rechnen. Und nicht bloß Achtung von Seiten anderer, nein, auch Selbstachtung ist nur noch auf diesem Wege zu erlangen. Der Pariser hält sich selbst nicht für einen Sou wert, wenn er fühlt, dass seine Taschen leer sind, und das tut er nicht etwa unbewusst, nein, bewusst tut er es, tut es auf Ehre und Gewissen, tut es aus größter Überzeugung. Es werden Ihnen ganz erstaunliche Dinge erlaubt, wenn Sie nur Geld haben."
Auszüge aus dem 6. Kapitel