und Epilepsie

1839
An der Ingenieurschule soll Dostojewski bei der Nachricht vom Tode seines Vaters den ersten epileptischen Anfall gehabt haben. Dies ist jedoch nicht belegt.
 

Grigorowitsch berichtet aus der Zeit des Ingenieurschulbesuchs in Petersburg:
„Ein paar Mal bekam er während unserer seltenen Spaziergänge Anfälle. Als wir einst zusammen durch eine Straße gingen, begegnete uns ein Leichenzug. Dostojewski wandte sich rasch ab und wollte auf dem gleichen Wege zurückkehren. Aber ehe er einige Schritte zurückgelegt hatte, trat ein so starker Anfall ein, dass ich mich gezwungen sah, ihn mit Hilfe einiger vorüber eilender Passanten nach dem nächsten Laden hinüberzubringen. Nur mit großer Mühe gelang es uns, ihn zum Bewusstsein zurückzurufen. Nach solchen Anfällen trat gewöhnlich ein Depressionszustand ein, der zwei bis drei Tage dauerte.“
 
 
1846
Nach dem Ausscheiden aus dem Panajew-Kreis, zu Zeiten seiner Verspottung:
„Seiner angegriffenen Gesundheit drohte der Kollaps. Harte Nachtarbeit, übermäßiges Rauchen und wenig Bewegung führten dazu, dass er immer häufiger unter Ohnmachten, Halluzinationen und Depressionen litt . . .
Der Freund Dostojewskis und Arzt Dr. Stepan Janowskij meinte später, diese Nervenanfälle mit dazugehöriger Todesangst und Niedergeschlagenheit, seien die ersten Anzeichen seiner Epilepsie gewesen. Heute hingegen würde man die Leiden wohl eher psychosomatisch nennen."
Kjeetsa  S. 73
 
 
Durch Baron Alexander Wrangel weiß man, dass mit dem Erscheinen eines neuen Bataillonskommandeurs, der Alkoholiker war, Dostojewski wiederholt zum Mittrinken genötigt wurde, da die Wirtin bei einem Anfall jedes Mal Wrangel herbeiholte.
 
 Dostojewski 1859
 
1957
Dostojewski in einem Brief an Wrangel
„Der Arzt (gelehrt und erfahren), sagte mir entgegen allen früheren ärztlichen Erklärungen, dass ich die echte Epilepsie hätte und bei einem Anfall damit rechnen müsste, an einem Spasma in der Kehle zu ersticken.“
Imbach, Josef;   Dostojewski - Gelebtes Christentum, Imba Verlag Freiburg 1979
 
 
1858
Aus dem Attest seines Bataillonsarztes (seinem Entlassungsantrag beigelegt):
„Der Patient ist 35 Jahre und von eher schwacher Konstitution. 1850 hatte er seinen ersten Epilepsieanfall, der sich in Schreien, Gedächtnisverlust, Zuckungen, Schaum um den Mund und Atembeschwerden mit schwachem und schnellem Puls äußerte. Der Anfall dauerte 15 Minuten. Darauf folgten gewöhnliche Erschöpfung sowie die Wiedererlangung des Bewusstseins. 1853 hatte er wieder einen Anfall und seither stellen sie sich regelmäßig gegen Monatsende ein.“
 
 
1959
"Das Eheleben mit seiner launischen, eifersüchtigen Maria führte zu einer rapiden Verschlechterung seiner Gesundheit. Die Anfälle traten in immer kürzeren Abständen ein: vollständige Erschöpfung, lang anhaltende Gedächtnislücken und schwere Depressionen."
Geir Kjeetsa; „Dostojewskij, Sträfling - Spieler - Dichterfürst“  Verlags KG Wiesbaden, S. 164
 
„In seinem Notizbuch der Jahre 1862 – 63 finden sich die in ihrer lakonischen Härte bestürzenden Anmerkungen:
`Epileptische Anfälle:
1. April - heftig
1. August - schwach
7. November - mittel
7. Januar – heftig
2. März – mittel` “
Troyat; Dostojewsky, Alsatia Verlag 1964 S. 213
 
 
1863 - 19. Juni   Dostojewski in einem Brief an Turgenjew
„Ich leide sehr an Epilepsie, die immer schlimmer wird und mich geradezu in die Verzweiflung treibt. Wenn Sie wüssten ich welch schwermütiger Stimmung ich mich zuweilen wochenlang nach den Anfällen befinde. Ich wollte eigentlich nach Berlin und Paris reisen, und zwar möglichst kurz und zu eigen dem Zweck, um Ärzte und Spezialisten für epileptische Krankheiten zu konsultieren. Bei uns gibt es offenbar keine Spezialisten, ich bekomme von den hiesigen Ärzten so unterschiedliche und sich widersprechende Ratschläge, dass ich den Glauben an sie völlig verloren habe.“
Dostojewski, F. M.; Briefe, Reclam 1981
 
 
1868
"Insbesondere litt Dostojewski im Herbst und frühen Winter, an häufigen epileptischen Anfällen, die ihm die Arbeit verunmöglichten."  
Kjetsaa, Geir; Dostojewskij, VMA Verlag Wiesbaden 1985 S. 22
 
 
1870
„Um drei Uhr nachts in der Diele ein furchtbarer Anfall. Ich bin zu Boden gefallen und habe mir das Gesicht wund geschlagen. Ohne mich an irgendwas zu erinnern und ohne dass es mir bewusst wurde, habe ich die unversehrte Kerze aufgehoben, angezündet und ins Zimmer gebracht. Ich schloss das Fenster, und erst dann begriff ich, dass ich einen Anfall gehabt hatte. Ich weckte Anna und sagte es ihr; als sie mein Gesicht sah, weinte sie. Ich versuchte sie zu beruhigen und bekam plötzlich wieder einen Anfall. Als ich wieder zu mir kam, hatte ich entsetzliches Kopfweh und konnte nicht deutlich sprechen.“
Troyat; Dostojewsky, Alsatia Verlag 1964 S. 323
 
 
1877 - 7. März - Brief an Gerasimowa:
Ich musste 3 Anfälle meiner epileptischen Krankheit überstehen: so heftig und so häufig habe ich das schon jahrelang nicht mehr durchgemacht. Nach den Anfällen kann ich aber zwei drei Tage weder arbeiten noch schreiben, nicht einmal lesen kann ich, weil ich ganz zerschlagen bin, sowohl körperlich als auch geistig.
Ebenda
 
 
1877 - 17. Dezember   - Brief an Janowski:
Ich bin müde, die Epilepsie ist stärker geworden (namentlich durchs Tagebuch) . . .
Gesammelte Briefe 1833 – 1881; F. M. Dostojewski, Piper Verlag 1966
 
 Dostojewski 1879
 
Der Arzt Begalow, der die Epilepsie zuerst bei ihm erkannt hatte:
„Dostojewski befand sich nach einem Anfall zwei bis drei Tage in einem typischen postepileptischen Dämmerzustande. Sein mürrisches Wesen und seine starke Reizbarkeit in diesen Zuständen geben uns ein deutliches Bild von der außerordentlichen Wirkung dieser Krankheit, welche in seinen Charakter fremde Züge einpflanzte und ihn stark verunstaltete.“
Fülöp-Miller, Am Roulette, Piper Verlag 1925
 
 
Als Dostojewski sich dem vierzigsten Lebensjahr näherte, nahm seine Fallsucht unerträgliche Formen an.
„Seine Situation ist die denkbar verzweifeltste und gänzlich aussichtslos“, meldet der Generalgouverneur in einem Bericht an die Geheimpolizei. „Die epileptischen Anfälle, an denen er seit langem leidet, sind noch niemals so häufig vorgekommen wie in der letzten Zeit, besonders aber im letzten Monat. Mit jedem Anfall wird sein Gedächtnis immer mehr geschwächt, in solchem Maße, dass er seine Bekannten nicht erkennt und dass er den Inhalt eines Buches, zwei Tage nachdem er es gelesen, bereits vollständig vergessen hat. Außerdem ergreift ihn nach jedem Falle eine Schwermut. Welche ihn zum Wahnsinn oder zur Verzweiflung bringen kann.“
Ebenda
 
 Strạchow, Nikolai Nikolajewitsch 1828 - 1896
 
Strachow schildert einen Anfall Dostojewskis folgendermaßen:
„Dostojewski kommt eines Abends spät zu mir. Wir gerieten in ein lebhaftes Gespräch. Fjodor war sehr angeregt und begann im Zimmer auf und ab zu gehen. Er sagte irgendetwas Großartiges, Frohes. Er wandte sich mit begeistertem Gesicht zu mir. Einen Augenblick blieb er stehen als suchte nach Worten für einen Gedanken und öffnete den Mund . . . Plötzlich drang aus seinem Munde ein seltsamer, gezogener, sinnloser Schrei, und er fiel bewusstlos mitten im Zimmer hin. Der Anfall war nur von mittlerer Stärke. In Folge der Krämpfe streckte sich der ganze Rücken, und an den Mundwinkeln trat Schaum hervor. Nach Verlauf einer halben Stunde kam er wieder zu sich, und ich begleitete ihn zu Fuß nach Hause, da er sehr nahe wohnte.“
Dostojewski selbst hat zeitweilig in seinen Notizbüchern jeden epileptischen Anfall im Nachhinein protokolliert.
Kraft, Hartmut; Grenzgänger zwischen Kunst und Psychiatrie, Deutscher Ärzte Verlag S. 133
 
 
Nach Strachow habe Dostojewski den Zustand vor einem epileptischen Anfall wie folgt geschildert:
„Für einige Augenblicke empfinde ich ein solches Glück, wie es in gewöhnlichem Zustand nicht möglich ist und von dem andere keine Vorstellung haben können. Ich fühle in mir und in der Welt eine vollständige Harmonie, und dieses Gefühl ist so stark und so süß, dass man für einige Sekunden dieser Seligkeit, zehn Jahre seines Lebens, ja, meinetwegen das ganze Leben hingeben könnte.“
Vgl. N. Hoffmann; Th. M. Dostojewsky – Eine biographische Studie, Ernst Hofmann & Co Berlin 1899