Der Antisemit

Es ist selbstredend zu berücksichtigen unter welchen politischen und gesellschaftlichen Bedingungen, in welchem historischen und biografischen Kontext Dostojewski das Thema des Judentums aufgegriffen hat.


„Der Herr ganz Europas ist doch nur der Jude und seine Bank. Der Jude und die Bank beherrschen jetzt alles: sowohl Europa als auch die Aufklärung, die ganze Zivilisation und den Sozialismus. (. . .) Und wenn dann nichts als Anarchie, dann wird der Jude an der Spitze des Ganzen stehen.“
 
„Und wenn auch alle Juden in corpore, wenn auch das ganze Kahal wie eine Verschwörung über Russland steht und den russischen Bauern aussaugt - oh wir haben nichts dawider, wir sagen keine Wort, kein Wort.“
Tagebuch eines Schriftstellers
 
In Bad Ems:
"Dostojewskis nervliche Zerrüttung und aggressive Reizbarkeit sind für ihn selbst und seine Umgebung kaum zu ertragen. Sie äußern sich auch in seinen antisemitischen Ausbrüchen über die jüdischen Zimmernachbarn in der Pension, die jüdischen Kurgäste in Bad Ems und das `verjudete Deutschland` in den Briefen an seine Frau und den Freund Pobjedonoszew."
Hielscher, Karla; Dostojewski in Deutschland,  Insel Verlag S. 219
  Jüdischer Geldwechsler 1902 aus der Ukraine     
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Bad Ems 9. August 1879, Dostojewski an seine Frau:
„Die Sachen sind schrecklich teuer, nichts kann man kaufen, alles Juden. Ich habe Schreibpapier gekauft und ganz widerliche Schreibfedern, gezahlt habe ich der Teufel weiß was. (. . .) Hier sind alles Juden!“ Sogar von dem angereisten Publikum sind fast ein Drittel reich gewordene Juden aus allen Ecken und Enden der Welt.“
 
„So endet bei Dostojewski alles mit der Verdammung der Juden. Statt Juden in Russland zu sein, weshalb sind sie nicht Russen in Judäa? Aber sie wären dort Russen nicht mehr. Zwischen Dostojewski und den Juden geht der gleiche Streit wie zwischen dem Alten und dem Neuen Testament. Das zweite beruft das erste ab, denn das zweite erfüllt das erste.“
Suares, Andrè; Dostojewski S. 93
 
Dostojewski schreibt in seinem Tagebuch eines Schriftstellers vom März 1877, dass einige jüdische Leser ihm Judenfeindlichkeit vorwerfen. Mit Empörung weist Dostojewski diese Anschuldigungen zurück, um umgehend einen heftigen Angriff gegen das Judentum und den jiddischen Charakter als solchen zu starten.
 
"Es kommt so in den Aufzeichnungen aus einem Totenhaus zu gezielten antisemitischen Seitenhieben, die sich auf die Gestalt des Juden Issai Fomitsch Blumstein konzentrieren, und zur Ablehnung der polnischen Häftlinge, denn sie sind katholisch. Diese religiös gespeiste Intoleranz Dostojewskis ist auch für seine fünf großen Romane typisch; in erkennbar systematischer Ausfaltung tritt sie uns zum ersten Mal in den Aufzeichnungen aus einem Totenhaus entgegen."
Gerigk, Horst Jürgen; Dostojewski - Der Kriminologe als Dichter (22 S.) in Europas Weg in die Moderne   S. 27
 
„Wo Juden in Dostojewskijs Werken auftreten, werden sie verächtlich gezeichnet. Man denke an Ljamschin in den `Dämonen`, der in der deutschen Fernsehfassung des Romans aus dem Jahre 1977 einfach fortgelassen wurde. Dostojewskij lässt keine Gelegenheit ungenutzt, seine politischen Ansichten ins Werk zu setzen.“
Gerigk, Horst Jürgen; Die Wirkung Dostojewskijs
 
"Zu Dostojewskis obsoleten Gedankenspielen gehören nicht zuletzt seine Reflexionen zur Judenfrage. Diese hat er mit besonderer Insistenz und Schärfe in einigen seiner späten, unverhohlen polemischen Aufsätze der 1870er Jahre, aber auch in seinem Roman «Der Jüngling» von 1875 dargelegt. Der große Humanist, in dem schon Nietzsche einen der größten Psychologen überhaupt zu erkennen glaubte, bediente sich damals sämtlicher Register antisemitischer Rhetorik und scheute kein Klischee, um die moralische und rassische Minderwertigkeit des Judentums anzuprangern – «Absonderung und Intoleranz gegenüber allem Nichtjüdischen», «Errichtung eines Staats im Staat», «Beherrschung des Kredits und damit der ganzen internationalen Politik», «Handel mit fremder Arbeit» und «das Bestreben, der Welt das eigene (jüdische) Antlitz und Wesen mitzuteilen»."
 
Demgegenüber möchte Dostojewski das Russentum – leidgeprüft, glaubensstark, demutsvoll, uneigennützig, brüderlich – als weltumgreifendes «Allmenschentum» etabliert sehen, vereint in «Allresonanz» und «Allversöhnlichkeit»; doch ebendiese globale «All-Einheit» schränkt er gleichzeitig wieder ein, führt sie gar ad absurdum, indem er dem «Weltjudentum» die Zugehörigkeit zum «Allmenschentum» versagt."
Felix Philipp Ingold - 2014
 
Es erscheint demnach durchaus als folgerichtig, wenn der Literaturwissenschaftler H. Gerigk Dostojewskis Antisemitismus gar strategisch ausgerichtet sieht.
Gerigk, Horst Jürgen; Turgenjew – Eine Einführung für den Leser von heute S. 118