Nihilismus

Das Wort Nihilist wurde von Turgenjew durch seinen Roman Väter und Söhne verbreitet, oder zumindest wurde seine Verbreitung durch ihn begünstigt. Aus den Zeitschriften Dostojewskis ist zu erfahren, dass das Wort auch ohne die Wirkung Turgenjews weit verbreitet war. Dostojewski gebrauchte es sehr oft in seinen publizistischen Arbeiten, so in seinen beiden Zeitschriften, und später dann vor allem in seinen Entwürfen zu seinen dichterischen Werken. 
 
„Für ihn ist der Begriff Nihilismus eben der Name für die russische Aufklärung.“
Tschizewskij; Dostoevskij und die Aufklärung S. 3f
 
Dostojewski in einem Brief vom 6. April 1870:
„Wartet nur ab, bis diese oberste Schicht jener, die sich vom Boden Russlands abgetrennt haben, gänzlich verwest. Wissen Sie was? Mir kommts oft in den Sinn, dass viele von diesen nämlichen, niederträchtigen Jungen damit enden, dass aus ihnen wirkliche, feste, russische Ur-Nationale (Potschwenniki) werden. Nun, die übrigen – mögen sie verwesen. Es wird damit enden, dass auch sie verstummen, in der Paralyse verstummen. Nichtswürdige sind sie immer!“
N. Hoffmann; Th. M. Dostojewsky S. 378
 
Dostoevskij konzipiert seine Einwände gegen die Literaturprogramme der Nihilisten in Form eines parodistischen Romanfragmentes.
(…)
Der Herausgeber des Aufsatzes in der Ausgabe der Werke Dostoevskijs L. Grossmann, bezeichnet diese Parodie als ein Programm für Dostojewskis weitere Polemik in späteren Werken.
Tschizewskij; Dostoevskij und die Aufklärung S. 11

Teile des Fragmentes, das lediglich in der russischen Gesamtausgabe vollständig veröffentlicht wurde, findet man in Tschizewskij, Dimitrij; Dostoevskij und die Aufklärung, Skripten des Slawischen Seminars der Universität Tübingens Nr. 5  1975 (S. 13 – 21) auf Deutsch. Sehr unterhaltsam, belebend und aufschlussreich wie ich finde.
 
  Russische Ausgabe von
  Turgenjews Vater und Söhne


„Dostoevskij begegnet einem seiner Meinung nach wichtigen Fehler der Nihilisten: Sie ersetzen die konkreten, naheliegenden Ziele durch maximale und weit entfernte und stören so das Erreichen konkreter Ergebnisse.“
Tschizewskij; Dostoevskij und die Aufklärung S. 27
 
Geschrieben in einer Glosse zum Thema Konstitution (vermutlich in seinen Notizen)
„Ja, Ihr werdet die Interessen Eurer Gesellschaft vertreten, aber ganz und gar nicht die des Volkes: Ihr werdet es aufs neue leibeigen machen, Kanonen werdet Ihr Euch ausbitten, um auf es zu feuern. Die Presse aber! Die Presse werdet Ihr nach Sibirien schicken, so wie sie Euch nur nicht ganz zusagt! Nicht nur Euch widersprechen wird.“
N. Hoffmann; Th. M. Dostojewsky S. 422
 
„In seinen späteren Werken spricht Dostoevskij nicht mehr direkt vom Nihilismus. Gerade die Bemerkungen in den Entwürfen zum Jüngling zeigen, warum er das nicht tut: in diesen späten Jahren handele es sich nicht mehr um echte Nihilisten, sondern um ihre geistigen `Nachkommen`, denen ja der Enthusiasmus und die wichtigsten Negationen der alten Nihilisten fehle.“
Tschizewskij; Dostoevskij und die Aufklärung S. 27
 
In seinen Notizen zum Jüngling schildert Dostoevskij Nihilisten, welche es damals seiner Meinung nach nicht mehr gab.
„Versilov gibt zu: Nihilismus ohne Ideologie, ohne Sozialismus, ohne Atheismus ist aber nur Pseudonihilsums, denn der echte Nihilist kann sich mit nichts versöhnen und aus dem zahnlosen Pseudo-Nihilismus wird sogar eine Art Idealismus erwachsen.“
Ebenda S. 25

„Ob die Anwendung seiner Analysen auf spätere Zeiten, bis zur heutigen Gegenwart hin, möglich ist, das müssen die Verehrer Dostoevskijs als Denker selbst entscheiden.“
Ebensda S. 31
 
Seit ca. 1868 trug sich Dostojewski ernsthaft mit dem Gedanken, sich des Nihilismus in einem umfangreichen Werk zu widmen. Über die Zeit wandelte sich diese Idee zu dem Romanvorhaben "Leben eines großen Sünders".