Prozess
"Die Akten wandern weiter zu einer Gerichtskommission unter dem Vorsitz des Generals Perowski, der bereits beschließt, alle Verhafteten aus Mangel an Beweisen zu entlassen, als der Fall unbegreiflicher Weise an das Militärgericht übergeben wird. (. . .) Das Kriegsgericht greift zu der härtesten Strafe und verurteilt sämtliche Angeklagten, bis auf einen, zum Tode."
Görlitz, Walter, Russische Gestalten S. 147
Der Prozess dauerte über 7 Monate. Weit mehr als 9.000 Bögen Papier wurden verwandt. Das Wichtigste davon ist in 3 umfangreichen Bänden* erschienen. An die 300 Menschen waren einbezogen.
"Nehmt ruhig die halbe Hauptstadt fest, wenn die Verschwörer nur überführt werden," so der Zar schriftlich an die Untersuchungskommission.
So wurden auch Dostojewskis Brüder Michail und Andrej festgenommen, aber kurz darauf wieder frei gelassen.
Einziger Belastungszeuge war der speziell für den Petraschweski-Kreis engagierte M. Antonelli.
Die Anordnung zu Dostojewski Festnahme
Nach fünfmonatiger Untersuchungszeit wurde dem Zaren Nicolaus I. der Abschlussbericht vorgelegt. Die Ergebnisse waren dünn. Zum Beispiel wurde die Geheimdruckerei nicht gefunden.
Der Zar beschloss darauf hin willkürlich das Verfahren von einem Militärgericht verhandeln zu lassen. So hatte er trotz kläglicher Beweislage, die Möglichkeit eine möglichst harte Strafe fällen zu lassen. Hintergrund ist, dass der Zar zu diesem Zeitpunkt eine besonders harte Strafe beabsichtigte, um seine Begnadigung möglichst großzügig erscheinen zu lassen. Es war demnach zu keinem Zeitpunkt der Vollzug der Todesstrafe beabsichtigt. Ursprünglich wollte der Zar auf dem Platz zuvor bereits die Gräber ausheben lassen. Dagegen gab es dann selbst in den eigenen Reihen reichlich Widerstand, sodass er davon absah.
Dostojewski schrieb eine 50 Seiten lange Rechenschaftsschrift. Darin heißt es unter anderem:
"Eigentlich weiß ich bis jetzt noch nicht, was man mir zur Last legt. Man hat mir nur erklärt, dass ich an allgemeinen Gesprächen bei Petraschewski teilgenommen, freidenkerisch gesprochen und schließlich den literarischen Artikel vorgelesen hätte."
Im Laufe des Verfahrens versucht man Dostojewski, im Wissen um seine instabile Psyche, gegen die anderen Petraschewzn auszuspielen. Kurzzeitig besteht Gefahr, dass er es nicht bemerkt. Jedoch von der Stunde an, als ihm dies klar wurde, wurde er sehr reserviert und setzte sehr viel daran, seine Leidensgefährten in keiner Weise zu kompromittieren. Auch zu seiner eigenen Beteiligung hält er sich zusehends in dem Maße zurück, als ihm klar wird, dass mit keiner inhaltlichen Auseinandersetzung zu rechnen ist.
„Auch Nötzel hat keine Äußerung Dostojewskis über den Umfang seiner Beteiligung gefunden, hält es aber mit anderen, so auch mit der Tochter für möglich, daß Dostojewski eine hervorragende Rolle in dem Komplott zugedacht war.“
Maier Gräfe
"Es gibt in den Aussagen Dostojewski nichts Falsches oder Unwahres, aber es fehlt sehr vieles."
Berdjajew; Dostojewski im Prozess der Petraschewzwn
Dostojewski schreibt seinem Bruder noch am Tage der Scheinhinrichtung.
Der Brief an seinen Bruder Michail
28 der verhafteten "Rebellen" werden vor ein Kriegsgericht gestellt und 15 von ihnen (darunter Dostojewski) zum höchsten Strafmaß verurteilt.
Das Urteil des Gerichtes:
"Das Militärgericht befindet den Angeschuldigten Dostojewski insoweit für schuldig, als er nach Erhalt der Kopie eines verderblichen Briefes, geschrieben vom Literaten Belinski, übermittelt durch den Adligen Pletschajew (Angeklagter) im März dieses Jahres nach Moskau, diesen Brief in Versammlungen vorgelesen hat: zunächst beim Angeklagten Durow, danach bei dem Angeklagten Petraschewski, schließlich hat er den Briefwechsel zwecks Anfertigung einer Kopie an den Angeklagten Mombelli weitergegeben. Dostojewski war bei dem Angeklagten Speschnew anwesend, als das aufrührerische Werk des Leutnants Grigorjew, betitelt `Ein Soldatengespräch`, vorgelesen wurde. Das Militärgericht hat deshalb den Ingenieur Leutnant a. D. Dostojewski wegen Unterlassung einer Berichterstattung über die Verbreitung eines religions- und regierungsfeindlichen Briefes des Literaten Belinski und des verbrecherischen Werkes des Leutnants Grigorjew gemäß dem militärischen Führungskodex T. B, B. 1, S. 142, 144, 169, 170, 172, 174, 176, 177 und 178 unter Aberkennung des militärischen Ranges und aller Vermögensrechte zum Tode durch Erschießen verurteilt.“
Dostojewski im Prozess der Petraschewzn S. 206
Die Namensliste der zum Tode verurteilten
Zur Entwicklung des Strafmaßes:
„Die Untersuchung dauert fünf Monate. Zweihundertzweiundreißig Personen werden als Beschuldigte oder Zeugen mündlich oder schriftlich vernommen. Trotz Liprandis wiederholten Behauptungen erkennt die Kommission am 31. August endlich auf Unschuld der Angeschuldigten.“
Troyat S. 125
Das Innenministerium jedoch fordert eine neue Untersuchung. Am 30. September 1849 wird der „Fall Petraschewski“ dem Militärgericht übergeben. Am 16. November 1849 ergehen Todes- und Deportationsurteile; aber auch sechs Freisprüche.
Entgegen allen Regeln übergibt der Zar den Fall dem Generalauditoriat, das dann nach Kriegsrecht entscheidet und alle Angeklagten zum Tode verurteilt.
Vgl. Troyat S. 126
* Die 3 Bände sind nicht in Deutsch erschienen. Bei Reclam erschien jedoch "Dostojewskij im Prozeß der Petraschewzn" von Nikolai F. Beltschikow.
Sehr detailliert, bis hin zu der Liste der Sachen, die Dostojewski mit nach Sibirien nehmen durfte, finden sich dort ebenso Spitzelberichte, Protokolle von Verhören, der Brief an Bruder Michail und selbst die 3 Varianten der vom Zaren gewünschten Scheinhinrichtung.