Atheismus

Zwei unverwirklichte Absichten


„Die Idee des Sünder-Romans ist das große Diarium, aus dem Dostojewski alle zukünftigen Werke entnimmt und bereits vorher geschaffene Hauptwerke entnommen hat.“
Meier-Graefe, Julius; Dostojewski S. 254

Dostojewski schreibt im Dezember 1868 aus Florenz an A. Majkow:
„Jetzt beabsichtige nämlich folgendes: 1. Einen riesigen Roman mit dem Titel `Atheismus`; bevor ich ihn in Angriff nehme, muß ich eine ganze Bibliothek mit Werken atheistischer, katholischer und orthodoxer Autoren durchlesen.
(. . .)
Die Hauptfigur habe ich schon. Ein Russe aus unseren Kreisen, ziemlich bejahrt, nicht besonders gebildet, doch auch nicht ungebildet, nicht ohne Stellung in der Gesellschaft, verliert ganz plötzlich in reifem Alter, seinen Glauben an Gott.
(. . . )
Der Verlust seines Glaubens an Gott macht auf ihn einen kolossalen Eindruck.“
Briefe; Piper S. 285 f.

Im Folgenden skizziert er das Handlungsskelett. Es folgt eine in Klammern gesetzte Anmerkung:
„Um Gottes Willen sprechen Sie davon zu niemandem; wenn ich diesen letzten Roman geschrieben habe, will ich gern sterben, denn ich werde darin alles, was ich auf dem Herzen habe, ansprechen.“
Ebenda

Dostojewski schreibt im Februar 1869 aus Florenz an S. Iwanowa:
„Ich trage mich jetzt mit dem Plan zu einem riesengroßen Roman, der in jedem Fall, auch falls er mir misslingen sollte, sehr effektvoll ausfallen muss und zwar schon wegen seines Themas. Dass Thema ist – der Atheismus.
(. . . )
Dies muß den Leser auch gegen seinen Willen gefangen nehmen.“
Ebenda S. 293 f.
 

„Die Idee zu einem Roman `Atheismus` entstand gleichzeitig mit der Idee des `Idioten`, vielleicht sogar etwas früher. Jedenfalls änderte er die Idee mehrmals: Sie wird später zum `Leben eines großen Sünders`, einer Konzeption, die ebenso wenig wie der `Atheismus` je verwirklicht wurde. Die einzelnen Elemente beider Pläne fanden sich schließlich in den großen Romanen der 70er Jahre bis zu den `Brüdern Karamasow` hin ihre Realisierung.“
Hitzer, Briefe – Anhang S. 588

(c) Tennyson Samraj


Friedrich Hitzer sieht in einem Brief von Dostojewski (8./ 20. Oktober 1870) an den Verleger Katkow, einen klaren Beleg dafür, „daß Dostojewskij von seinem großen Projekt eines fünfteiligen Romans `Atheismus`, dann `Lebensbeschreibung eines großen Sünders` endgültig abgekommen war. Konzeption und Gestalt des Helden wurde teilweise auf die Figur Stawrogins übertragen.“
Briefe Piper S. 600

Zur Idee der „Lebensgeschichte eines Sünders“ sind im 1928 veröffentlichten Nachlass dazu ausführliche Skizzen aus dem Jahre 1870 zu finden.
Vgl. Doerne, Martin; Gott und Mensch in Dostojewskijs Werk S. 54


Später eine Modifizierung:

Dostojewski schreibt im März 1870 aus Dresden an N. Strachow:
„Die Idee erfordert einen großen Umfang, mindestens so groß wie beim Tolstojschen Roman. Es wird ein Zyklus von fünf einzelnen Romanen werden.
(. . . )
Gesamttitel lautet übrigens: `Lebenserinnerungen eines großen Sünders`, und jeder einzelne Roman wird noch einen eigenen Titel haben.“
Gesammelte Briefe; Piper S. 341 f.

An A. Majkow schreibt Dostojewski ebenfalls 1870 über die Grundidee des geplanten „Lebenserinnerungen eines großen Sünders“:
„Die grundlegende Idee, die durch alle Teile laufen wird, ist eine Idee, die mich bewusst und unbewusst ein Leben lang gequält hat; es ist die Frage nach der Existenz Gottes.“
Steiner, Tolstoj oder Dostojewskij S. 258

Sehr detailreich wird über diese Vorhaben und ihren Einfluss auf andere Werke in der Dostojewski-Biographie von Konrad Onasch eingegangen.