Omsker Gulag



P. Martjanow in seinen Erinnerungen:
„Dostojewski hatte das Aussehen eines kräftigen, leicht untersetzten, gut disziplinierten Arbeiters. Das schwere Schicksal hatte ihn gleichsam versteinert. Er schien schwerfällig, unbeholfen und immer schweigsam. Auf seinem blassen, ausgemergelten, aschfahlen, mit dunkelroten Flecken bedeckte sein Gesicht, sah man nie ein Lächeln.“
F. M. Dostojewski – Briefe, Piper 1920 S. 251

 Der Bahnhof von Omsk

„Das Zuchthaus schärfte auch Dostojewskis Bewusstsein für seine Isolierung von den einfachen Menschen. (. . .) Mitgefangene lehnten ihn sogar ab, als er versuchte, sich ihrem Protest gegen die Bedingungen in der Zuchthausküche anzuschließen.“
Hosking, Geoffrey; Russland - Nation und Imperium S. 337


Omsk - Der Eingang des Lagers

Augenzeugen aus dem Omsker Zuchthaus berichten über Dostojewski:
"Er blickte wie ein Wolf in der Falle; um schon gar nicht von den Häftlingen zu reden, die er überhaupt scheute und mit denen er überhaupt keine menschliche Berührung haben wollte; die humanen Beziehungen von Personen, die sich seiner annehmen wollten und versuchten, ihm nützlich zu sein, schienen ihn zu bedrücken.
Immer mit gerunzelter Stirn und zusammengezogenen Brauen ging er den Menschen aus dem Wege und versuchte in der lärmenden Arrestantenstube für sich zu bleiben. (. . .) Jede Äußerung des Mitgefühls nahm er misstrauisch auf, als vermute er eine für ihn unangenehme verborgene Absicht."

Dostojewski selbst später über die Haft:
"Wir schliefen auf bloßen Brettern; einem jeden war nur ein Kopfkissen erlaubt. Wir bedeckten uns mit kurzen Halbpelzen, und die Füße blieben die ganze Nach bloß. So froren wir ganze Nächte hindurch. Flöhe, Läuse und anderes Ungeziefer gab es Scheffel voll."


Omsk - Der Lagerzaun (aufgenommen 1897)

Dostojewski soll von einer panischen Angst besessen gewesen sein, Prügel zu beziehen. Ausgepeitschte Gefangene bat er unmittelbar nach ihrer Tortur darum, ihren Schmerz geradezu minutiös zu beschreiben. Er wollte wissen, ob er selbst es wohl überleben würde.

22. Februar:
Fjodor schreibt in einem Brief an seinen Bruder Michail über seine Mitgefangenen in der Katorga:
"Sie sind brutale, zornige, verbitterte Menschen. Ihr Hass auf den Adel ist grenzenlos; sie betrachten uns alle, die wir dazugehören, mit feindseliger Abweisung. Sie würden uns auffressen, wenn sie könnten. Urteile nun selbst, in welcher Gefahr wir schwebten, während wir unser Leben mit diesen Menschen gemeinsam verbringen mussten, mit ihnen essen, neben ihnen schlafen, und ohne irgendeine Möglichkeit, uns über das Unrecht zu beschweren, das uns ständig angetan wurde. (. . .) Einhundertfünfzig Widersacher, die niemals müde wurden, uns zu verfolgen - das war ihr Spaß, ihre Ablenkung, ihr Zeitvertreib. (. . .) Unser einziger Schild war unsere Indifferenz und unsere moralische Überlegenheit, die sie gezwungen waren anzuerkennen und zu respektieren."

Omsk - Die Lagerwachtürme

"Was Dostojewski in den Aufzeichnungen aus einem Totenhause zu berichten weiß, ist bis ins kleinste Detail autobiographisch. Kürzlich vorgenommene Untersuchungen der Gefängnisprotokolle von Omsk belegen, dass Dostojewskij nicht einmal die Namen der Sträflinge veränderte, mit Ausnahme seines eigenen. Wegen der erforderlichen Rücksichtnahme auf die Zensur war die Realität allerdings noch brutaler als im Buch geschildert."
Kjeetsa, Geir; Dostojewskij, Sträfling - Spieler - Dichterfürst S. 133

Die Probleme mit der Zensur verhielten sich jedoch völlig anders. Ihnen war es nicht brutal genug geschrieben. So hatte man Befürchtungen, dass es nicht abschreckend genug sei.

 Gemälde, das Dostojewski in einer Omsker Häftlings-Baracke zeigt
 im Omsker Dostojewski-Museum (c) Judith Vöcker


Ohne Anklage und Selbstmitleid hielt Dostojewski die schweren Jahre durch, aber wie in der Petersburger Ingenieurschule nicht zwischen dem Menschen und seiner Umgebung – sondern in ihm selbst.
Vgl. Thieß, Transzendenz

„Madame Iwanow, Tochter des Dekabristen Annenkow, die ihm schon in Tobolsk so viel half, war mit ihrem Manne, Chef der Gendarmerie, nach Omsk umgesiedelt und konnte ihm gar manches Mal Geld und Essen, ein paar Mal sogar Bücher ins Gefängnis hineinschmuggeln.“
Rachmanowa S.129 Bd. 2   Vgl. auch  Troyat S. 156

Nach seiner Entlassung aus Omsk verbrachte Dostojewski noch zwei Wochen bei dieser Familie.

„Auch der Chefarzt des Militärspitals, Troitzki, hat dem Sträfling Dostojewski gegenüber mancherlei nützliches Wohlwollen übrig. Nicht selten nahm er ihn nach einer Scheinvisite ins Spital auf und ließ ihn sich dort einige Tage erholen.“
Troyat S. 150

Während seiner Zeit in Omsk kam Dostojewski von Anbeginn bis zur Entlassung in die Lage, zahlreiche Protektionen in Anspruch nehmen zu können, die sein Leben nicht unerheblich erleichterten und mit denen eines regulären Häftlings nur bedingt gleichsetzen lässt.
Vgl. Dostojewski Briefe - Anhang, Piper-Ausgabe 1920

„Am 15. März 1854 verlässt er das Bagno. Aber erst im März wurde er nach Semipalatinsk transportiert. Fast zwei Wochen lang wohnte er in Omsk bei seinen Freunden, den Iwanow. Frau Iwanow war die Frau des Dekabristen Annenkow. Sie war Dostojewski in Tobolsk begegnet und hatte sich zusammen mit ihrem Manne während seiner gesamten Gefangenschaft bemüht, seine Qualen zu erleichtern, hatte ihm etwas Geld oder Lebensmittel zukommen lassen.“
Troyat 156

Gemälde von G. Korzhev-Chuvelev

Später soll Dostojewski ein doch leicht verzerrtes Bild entwickeln. Dostojewski an den Bruder von Wladimir Solowjow:
„Oh, Sibirien und die Zwangsarbeit, das war für mich ein großes Glück! Man sagt, es sei dort empörend und schrecklich, man spricht von berechtigter Entrüstung… Was für eine Dummheit! Erst dort begann ich, gesund und glücklich zu leben, dort verstand ich mich selbst…, Christus…, den russischen Menschen, und dort bekam ich das Gefühl, dass auch ich Russe bin, ein Sohn des russischen Volkes. Die besten Gedanken hatte ich allesamt damals, jetzt kehren sie nur zurück, aber längst nicht so klar! Oh, brächte man doch auch Sie zur Zwangsarbeit!“


Oberst Aleksej Fedorowitsch Halt Grawe

Der Festungskommandant Aleksej Halt Grawe hat wohl im März 1852 einen Antrag auf Befreiung Dostojewskis von den Ketten gestellt, der alle bürokratischen Hürden nahm - bis auf die Genehmigung des Zaren.
Rachmanowa Bd 2, S.128

Andere Quellen hingegen behaupten, die Fußfessel wären Dostojewski 1852 wegen guter Führung abgenommen worden.

 Fußfesseln der Omsker Strafgefangenen im Omsker Dostojewski-Museum
© Judith Vöcker

„Es wäre zu viel gesagt, Sibirien habe Dostoevskij gebrochen, jedenfalls hat es ihn aber vergiftet.“
Masaryk, T. G.; Polemiken und Essays zur russischen und europäischen Literatur- und Geistesgeschichte S. 74

"Das theoretisch konstruierte Weltbild des jungen Dostoevskij wurde in Omsk einer Prüfung unterzogen und in wesentlichen Punkten verworfen."
Städtke Klaus; Studien zum russischen Realismus des 19. Jahrhunderts  S. 102

Drei oder vier Tage im Juli 1859 soll er nochmals in Omsk gewesen sein, um sich "endgültig" von Sibirien zu verabschieden.
Vgl. megansk

Artikel Dostojewskis Leben in Sibirien
aus der Kölnischen Zeitung, vom 13. November 1926