Belinskis Brief an Gogol

„Sie haben nur zum Teil recht, wenn Sie meinen Artikel als das Produkt eines in Zorn geratenen Menschen bezeichnen: dieser Ausdruck ist viel zu schwach und zu mild für den Zustand, in den mich die Lektüre Ihres Buches versetzte! Aber Sie sind durchaus im Unrecht, wenn Sie dies Ihren in der Tat nicht sehr schmeichelhaften Kritiken der Verehrer Ihres Talentes zuschreiben. Nein, der Grund war ein viel wichtigerer! Gekränkter Ehrgeiz, das ließe sich noch ertragen, und so viel  an Verstand hätte ich schon besessen, um dazu einfach zu schweigen, wenn es sich eben nur darum gehandelt hätte. Nicht aber ertragen lässt sich die Verletzung der Wahrheit, der Menschenwürde: man darf nicht schweigen, wenn unter dem Deckmantel der Religion und unter dem Schutze der Knute Lüge und Moral als Wahrheit und Tugend angepriesen werden!Belinski liest Alexander Herzen in Paris den "Brief an Gogol" vor.

Ja, ich habe Sie geliebt, mit aller Leidenschaft, mit der ein seinem Vaterlande eng verbundener Mensch die Hoffnung, die Ehre und den Ruhm seiner Heimat lieben kann, einen ihrer großen Führer auf dem Wege zur Erkenntnis, der Entwicklung und des Fortschrittes. Und Sie hätten allen Grund dazu gehabt, wenigstens auf eine Minute lang das Gleichgewicht Ihres Gemütes zu verlieren, nachdem Sie das Recht auf diese Liebe verwirkt haben! Ich sage das nicht, weil ich meine Liebe als eine Belohnung Ihres großen Talentes ansehen würde, sondern weil ich in dieser Beziehung nicht für mich allein, sondern für eine große Zahl von Menschen spreche, von denen sowohl Ihnen als auch mir die meisten unbekannt sind, und von denen andererseits auch die meisten Sie niemals zu Gesicht bekommen haben. Ich bin nicht imstande, Ihnen auch nur den kleinsten Begriff von dem Zorne zu geben, den Ihr Buch in allen edlen Herzen erweckt hat, noch von dem Freudengeheul, das beim Erscheinen Ihres Buches von allen Ihren Feinden angestimmt wurde, sowohl von den nichtliterarischen, den Tschitschikows, Nosdrews, den Stadtvögten usw., als auch von den literarischen, deren Namen Ihnen wohlbekannt sind. Sie sehen selbst, daß sich von Ihrem Buche sogar solche Leute distanziert haben, welche allem Anschein nach eines Geistes mit ihm sind. Selbst wenn es auf Grund einer tiefen, aufrichtigen Überzeugung geschrieben worden wäre, hätte es auf das Publikum denselben Eindruck machen müssen. Wenn aber alle (außer wenigen, deren Zustimmung keine Freude bereiten kann, wenn man sie näher kennt) Ihr Buch als einen schlauen, aber allzu schamlosen Schachzug zur Erreichung eines sehr irdischen Zieles auf dem Wege über den Himmel angesehen haben, so sind Sie allein Schuld daran! Daran ist gar nichts Merkwürdiges, das einzig Merkwürdige ist nur, daß Sie es merkwürdig finden! Ich glaube, dies kommt daher, daß Sie Rußland nur als Künstler wirklich gut kennen, nicht aber als Mensch des Verstandes, welche Rolle Sie in Ihrem phantastischen Buche auf so unglückliche Art spielen wollen. Und dies wieder nicht deshalb, weil Sie kein Denker wären, sondern weil Sie schon so viele Jahre gewohnt sind, Rußland von dem schönen, fernen Lande aus zu betrachten, in dem Sie sich befinden; und es ist doch bekannt, daß nichts leichter ist, als aus der Entfernung die Dinge so zu sehen, wie man sie sehen will, denn dort leben Sie in einer gänzlich fremden Atmosphäre, in sich selbst ein- und abgeschlossen, oder in einem Kreise gleichgesinnter Menschen, die nicht die Kraft besitzen, sich gegen Ihren Einfluß durchzusetzen. Daher ist es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, daß Rußland seine Rettung nicht im Mystizismus, im Asketismus oder im Pietismus sieht, sondern in den Fortschritten der Zivilisation, der Aufklärung, der Humanität. Rußland braucht keine Predigten (es hat ihrer genug gehört), keine Gebete (es hat ihrer genug heruntergeleiert), sondern das Erwachen des Gefühls der Menschenwürde im Volke, die so viele Jahrhunderte in Schmutz und Unrat zertreten worden ist, - und ein Recht und Gesetze, die nicht mit den Lehren der Kirche, sondern mit den Anforderungen des gesunden Menschenverstandes und der Gerechtigkeit in Einklang stehen, und dazu noch, daß diese Gesetze so streng wie möglich eingehalten werden! Statt dessen aber bietet Rußland das furchtbare Schauspiel eines Landes, wo Menschen Menschen als Handelsware betrachten, wobei sie sich nicht einmal auf die Rechtfertigung berufen können, zu der die schlauen amerikanischen Plantagenbesitzer Zuflucht nehmen, indem sie behaupten, die Neger wären keine Menschen; eines Landes, in dem sich die Leute so erniedrigen, daß sie sich selbst mit den Spitznamen nennen, die man ihnen beilegt, wie Wanjka, Wassjka, Stjeschka, Palaschka; eines Landes endlich, in dem es nicht nur keine Garantien für persönliche Freiheit, Ehre und Eigentum gibt, nicht einmal eine durch die Polizei bewahrte Ordnung, sondern nur eine ungeheure Körperschaft verschiedener Diebe und Räuber in Beamtenrang! Die brennendsten nationalen Probleme im heutigen Rußland sind: Abschaffung der Leibeigenschaft, Aufhebung der Körperstrafen, Durchsetzen einer möglichst gewissenhaften Befolgung wenigstens der Gesetze, die bereits vorhanden sind! Dies fühlt sogar die Regierung (die sehr gut weiß, was die Gutsbesitzer mit ihren Bauern treiben, und wie viele der ersteren von den letzteren jedes Jahr ermordet werden), was ihre schwächlichen und erfolglosen halben Maßnahmen zugunsten der weißen Neger beweisen, und die komische Einführung der dreischwänzigen Peitsche an Stelle der einschwänzigen Knute.

Das sind die Probleme, die ganz Rußland aus seinem apathischen Schlafe rütteln! Und in diesem Augenblicke tritt ein großer Schriftsteller auf, der durch seine künstlerisch überragenden, von tiefer Wahrhaftigkeit durchdrungenen Werke so mächtig zum Erwachen Rußlands beigetragen hat, indem er ihm die Möglichkeit gab, sich wie in einem Spiegel selbst zu erkennen; in diesem Augenblicke, sage ich, tritt dieser große Schriftsteller mit einem Buche an die Öffentlichkeit, in dem er im Namen Christi und der Kirche die barbarischen Gutsbesitzer lehrt, wie sie aus den Bauern noch mehr Geld herauspressen, wie sie sie noch mehr beschimpfen können… Und dies hätte mich nicht in Zorn setzen sollen? Und wenn Sie den Versuch gemacht hätten, mich meines Lebens zu berauben, selbst dann hätte ich Sie nicht mehr hassen können, als ich Sie wegen dieses schändlichen Buches hasse… Und nach diesem wollen Sie, daß man an die Aufrichtigkeit der Tendenz Ihres Buches glaubt? Nein! Wenn Sie wirklich von der Wahrheit Christi erfüllt gewesen wären, und nicht von der Lehre des Teufels, hätten Sie in Ihrem neuen Buche nicht so schreiben können! Sie hätten den Gutsbesitzern gesagt, da ihre Bauern ihre Brüder in Christo sind und ein Bruder nicht der Sklave seines Bruders sein kann, müßten sie ihnen die Freiheit schenken oder zum wenigsten ihre Arbeit so verwenden, daß sie für die Bauern selbst von größtmöglichem Nutzen ist, da sie doch einsehen müßten, daß sie sich ihnen gegenüber in einer, wenn sie ihr Gewissen sprechen lassen, schiefen Lage befinden.
Und dieser Ausdruck: „Ach, du ungewaschener Rüssel!“

Ja, von welchem Nosdrew oder von welchem Ssobakewisch haben Sie ihn übernommen, um ihn der Welt als große Entdeckung, den Bauern zum Nutzen und zur Darnachachtung, zu verkünden, diesen Bauern, die sich ja ohnehin nur deshalb nicht waschen, weil sie, der Ansicht ihrer Herren folgend, sich selbst nicht zu den Menschen zählen! Und Ihre Auffassung vom nationalen russischen Recht und nationaler russischer Gerichtsbarkeit, deren Ideal Sie in dem dummen Sprichwort gefunden haben, daß sowohl der Schuldige als auch der Unschuldige geprügelt werden soll? Freilich, diese Regel wird ja bei uns auch sehr oft befolgt, wenn auch noch häufiger nur der Unschuldige geprügelt wird, sobald er nämlich kein Geld hat, um sich loszukaufen; und ein anderes Sprichwort sagt dann für diesen Fall: ohne Schuld schuldig! Und ein solches Buch sollte das Ergebnis eines langsamen, inneren Reifens, einer hohen geistigen Erleuchtung gewesen sein? Nein, das ist unmöglich! Entweder sind Sie krank, und dann sollten Sie sich an den Arzt wenden, oder… ich schrecke davor zurück, meinen Gedanken zu Ende auszusprechen!... Prediger der Knute, Apostel der Unwissenheit, Verteidiger des Obskurantismus und der Finsterlinge, Lobsänger tatarischer Sitten – was tun Sie! Blicken Sie zu Ihren Füßen! Sie stehen ja vor dem Abgrunde… Daß Sie eine solche Auffassung auf die orthodoxe Kirche stützen wollen, das verstehe ich noch: sie war von jeher eine Stütze der Knute und eine Liebedienerin des Despotismus; aber wie konnten Sie Christus heranziehen? Und was haben Sie Gemeinsames zwischen ich und irgendeiner, besonders aber der orthodoxen Kirche herausgefunden? Er hat als erster der Menschheit die Lehre von der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gepredigt, und er hat die Wahrheit derselben durch seinen Märtyrertod bekräftigt und besiegelt. Und sie ist nur solange die Rettung des Menschgeschlechtes gewesen, bis sie nicht in der Kirche die Form einer Organisation und die Grundsätze der Orthodoxie angenommen hat. Die Kirche aber ist zu einer Hierarchie geworden, also zu einer Vorkämpferin der Ungleichheit, einer Lobrednerin der weltlichen Macht, einer Feindin und Unterdrückerin der Brüderlichkeit unter den Menschen – was sie bis auf den heutigen Tag geblieben ist. Den wahren Sinn des Wortes Christi aber hat die Philosophie des vergangenen Jahrhunderts entdeckt. Und deshalb ist auch ein Voltaire, der in Europa durch die Waffe seiner Satire die Scheiterhaufen des Fanatismus und der Unwissenheit zum Erlöschen gebracht hat, mehr ein Sohn Christi, mehr Fleisch von seinem Fleische und Blut von seinem Blute als alle eure Popen, Bischöfe, Metropoliten und Patriarchen! Wissen Sie denn das wirklich nicht? Das ist ja doch heutzutage für keinen Gymnasiasten mehr eine Neuigkeit… Und deshalb, kann es wirklich sein, das Sie, der Verfasser des „Revisor“ und der „Toten Seelen“, aufrichtig und von Herzen diesen Hymnus an die schnöde russische Geistlichkeit gesungen haben, in der sie diese unvergleichlich höher stellen, als die katholische? Nehmen wir an, Sie wissen wirklich nicht, daß die letztere einmal wirklich etwas gewesen ist, während die erstere niemals etwas anderes war als Dienerin und Sklavin der weltlichen Macht; aber ist es Ihnen denn wirklich unbekannt, daß unsere Geistlichkeit von der russischen Gesellschaft und dem russischen Volke ganz allgemein verachtet wird? Von wem erzählt sich denn das russische Volk das unflätige Märchen vom Popen, von der Popenfrau, von der Tochter des Popen und von seinem Knechte? Gilt denn der Pope in Rußland nicht allen Russen als die Verkörperung der Völlerei, des Geizes, der Kriecherei und der Unverschämtheit? Und Sie sollten das alles wirklich nicht wissen? Merkwürdig! Nach Ihren Worten wäre das russische Volk das religiöseste der Welt: Das ist eine Lüge! Die Grundlage der Religiosität ist der Pietismus, - die Ehrfurcht vor Gott. Der Russe aber spricht den Namen Gottes aus, während er sich kratzt… Er sagt vom Heiligenbild: taugt es etwas, dann zum Beten, taugt es nichts, dann als Topfdeckel!

Sehen Sie sich nur einmal genauer um, so werden Sie feststellen können, daß es seiner Natur nach ein tief atheistisches Volk ist! Es besitzt noch viel Aberglauben, aber keine Spur von Religiosität. Der Aberglaube wird mit dem Fortschreiten der Zivilisation verdrängt, die Religiosität aber verträgt sich des öftern ganz gut mit ihm; ein anschauliches Beispiel dafür ist Frankreich, wo es unter den aufgeklärten und gebildeten Menschen auch heute viele gläubige Katholiken gibt und wo viele, die sich vom Christentum entfernt haben, doch noch immer irgendeinen Gott anerkennen. Das russische Volk ist nicht so geartet; eine mystische Verzückung liegt nicht in seiner Natur, dazu besitzt es viel zu viel gesunden Menschenverstand, Klarheit und Wirklichkeitssinn in seinem Denken, und gerade darin liegt vielleicht seine ungeheure geschichtliche Bedeutung für die Zukunft! Die Religiosität hat sich in ihm nicht einmal bei der Geistlichkeit festgesetzt, und einige vereinzelte Ausnahmemenschen, die sich durch eine kalte asketische Beschaulichkeit ausgezeichnet haben, wollen da nichts besagen. Die Mehrzahl unserer Geistlichkeit aber hat sich immer nur durch dicke Bäuche, durch scholastische Pedanterie und dazu noch durch eine entsetzliche Unwissenheit ausgezeichnet. Es wäre eine Sünde, sie religiöser Unduldsamkeit oder des Fanatismus zu zeihen, eher könnte man sie für eine musterhafte Gleichgültigkeit in Sachen des Glaubens loben! Religiosität hat sich bei uns nur in den altgläubigen Sekten geäußert, die, ihrem Wesen nach, dem Empfinden des Volkes so entgegengesetzt und der Zahl ihrer Anhänger nach so verschwindend gering sind!

Ich werde mich nicht weiter mit den Lobeshymnen beschäftigen, die sie der Verbundenheit des russischen Volkes mit seinen Herrschern weihen. Ich sage es gerade heraus: diese Lobeshymnen haben in niemanden Widerhall erweckt, sie haben Sie aber sogar in den Augen derer herabgesetzt, die in anderen Punkten Ihren Ansichten sehr nahestehen. Was mich persönlich anbelangt, so überlasse ich es Ihrem Gewissen, sich an der Anschauung der göttlichen Schönheit der Selbstherrschaft des Zaren zu berauschen (es ist gefahrlos und überdies – vorteilhaft), nur betrachten Sie sie auch weiterhin aus Ihrer sicheren Entfernung: in der Nähe ist sie nicht so schön und nicht so ungefährlich… Ich möchte nur eines feststellen: wenn den Europäer, besonders den Katholiken, der Geist der Religiosität überkommt, dann wird er zu einem Menschen, der die Ungerechtigkeit der Herrschenden entlarvt, gleich den hebräischen Propheten, die die Gesetzlosigkeit der Mächtigen dieser Erde enthüllten. Bei uns aber ist gerade das Gegenteil der Fall: erfaßt einen Menschen (sogar einen anständigen) die Krankheit, die den Psychiatern unter der Bezeichnung mania religiosa bekannt ist, dann beginnt er allsobald dem irdischen Gotte mehr Weihrauch zu streuen als dem himmlischen, und dabei fällt er in eine solche Übertreibung, daß jener ihn wohl für seine sklavische Kriecherei belohnen möchte, aber einsieht, daß er dadurch sich selbst in den Augen der Öffentlichkeit bloßstellen würde… Ein elendes Geschöpf ist unsereins, der russische Mensch!

Ich erinnere mich übrigens noch, daß Sie in Ihrem Buche behaupten, so, als ob es eine große und unbestreitbare Wahrheit wäre, daß dem Volke das Lesen und Schreiben nicht nur ohne Nutzen, sondern sogar schädlich sei! Was soll man Ihnen darauf antworten? Nichts als: möge Ihr byzantinischer Gott Ihnen diesen Ihren byzantinischen Gedanken verzeihen, vorausgesetzt, daß Sie sich, als Sie ihn zu Papier brachten, überhaupt davon Rechenschaft abgelegt haben, was Sie sagten.
Soweit ich sehe, verstehen Sie die russische öffentliche Meinung nicht ganz. Sie wird durch die Lage der russischen Gesellschaft bestimmt, in der frische Kräfte wohl in Fülle sich regen und zur Oberfläche drängen, die aber unter dem schweren Drucke keinen Ausweg finden und daher sich nur als Verzagtheit, Langeweile und Apathie äußern können. Einzig in der Literatur ist noch, trotz der tatarischen Zensur, Leben und Fortschritt zu spüren. Das ist der Grund, warum der Beruf des Schriftstellers bei uns so angesehen ist und warum bei uns sogar ein kleines Talent so leicht Erfolg haben kann. Der Titel eines Dichters, der Beruf eines Schriftstellers erfreut sich bei uns seit langem allgemeiner Würdigung, besonders jede, wie sie genannt wird, liberale Richtung, selbst wenn das Talent sehr bescheiden ist, und deshalb verlieren auch die großen Talente so schnell ihre Popularität, sobald sie, mit oder ohne Überzeugung, sich in den Dienst der Orthodoxie, des Absolutismus, des Nationalismus begeben. Ein auffallend Beispiel dafür bietet Puschkin, der nur einige treuuntertänigste Gedichte zu schreiben und die Uniform eines Kammerherrn anzulegen brauchte, um sich mit einem Male der Liebe des Volkes zu berauben! Und Sie irren sich sehr, wenn Sie ernstlich glauben, daß Ihr Buch nicht wegen seiner schlechten Tendenz durchgefallen ist, sondern wegen der Schärfe der Wahrheiten, die Sie angeblich jedem und allen hineingesagt haben! Sie könnten das vielleicht zur Not noch von der Gilde der Schriftsteller glauben; wie können Sie das aber vom Publikum annehmen? Haben Sie ihm denn im „Revisor“ und in den „Toten Seelen“ weniger bittere Wahrheiten mit geringerer Schärfe und Aufrichtigkeit, mit geringerem Talente vorgebracht? Und die alte Schule ist auch gegen Sie in der Tat in maßlose Wut geraten; der „Revisor“ und die „Toten Seelen“ sind aber trotzdem nicht durchgefallen, während Ihr letztes Buch in Schmach und Schande verworfen worden ist. Und das Publikum hat da auch völlig recht: es sieht in den russischen Schriftstellern seine einzigen Führer, Beschützer und Retter vor dem Absolutismus, der Orthodoxie und dem Nationalismus, und während es jederzeit bereit ist, einem Schriftsteller ein schlechtes Buch zu vergeben, verzeiht es ihm niemals eines, das Böses wirkt. Dies beweist, welch frischer, gesunder Instinkt, wenn auch einstweilen bloß im Keime, in unserer öffentlichen Meinung vorhanden ist, und daraus folgt auch, daß sie eine Zukunft besitzt. Wenn Sie Rußland lieben, so freuen Sie sich mit mir darüber, daß Ihr Buch durchgefallen ist!

Gogol, Nikolai Wasiljewitsch


Nicht ohne ein gewisses Gefühl der Selbstzufriedenheit sage ich Ihnen, daß ich glaube, die russische öffentliche Meinung ein wenig zu kennen. Ihr Buch hat mich in Schrecken versetzt, weil ich meinte, es könnte von üblem Einfluß auf die Regierung und auf die Zensur sein, für das Publikum aber habe ich mich nicht gefürchtet! Als sich in Petersburg das Gerücht verbreitete, die Regierung beabsichtige, Ihr Buch in vielen Tausenden Exemplaren zu drucken und es zu einem möglichst niedrigen Preise zu verkaufen, da haben meine Freunde den Kopf hängen lassen; aber ich habe ihnen schon damals gesagt, daß das Buch trotz allem keinen Erfolg haben und daß es bald wieder vergessen sein wird. Und in der Tat, es ist jetzt noch weit eher durch die Kritiken, die es hervorgerufen hat, im Gedächtnis des Publikums haftengeblieben als durch sich selbst. Ja, der Russe besitzt, wenn auch noch nicht entwickelt, einen tiefen Instinkt für das Wahre!


Ihre Bekehrung mag ja vielleicht aufrichtig sein, aber die Idee, sie der Öffentlichkeit zur Kenntnis zu bringen, war außerordentlich unglücklich. Die Zeiten der naiven Frömmigkeit sind auch für unser Publikum schon seit langem vorbei! Es versteht bereits, daß man überall beten kann, und daß nur diejenigen Christus in Jerusalem suchen, die ihn entweder nie in ihrer Brust getragen, oder die ihn verloren haben. Wer imstande ist, angesichts fremden Leides selber zu leiden wen es selbst bedrückt, wenn er sieht, wie andere unterdrückt werden, der Christus in seinem Herzen, und der hat es auch nicht notwendig, zu Fuß nach Jerusalem zu pilgern! Die Demut, die Sie predigen, ist erstens nicht Neues, und zweitens äußert sie sich einerseits als entsetzlicher Hochmut, andererseits aber – als die schändlichste Erniedrigung der Menschenwürde. Die Absicht, zu irgendeiner abstrakten Vollkommenheit zu gelangen, alle anderen an Demütigungen zu übertreffen, kann aus Hochmut oder aus Schwachsinn entspringen und führt in beiden Fällen unbedingt zu Heuchelei, zu Scheinheiligkeit, zu Kriecherei. Und dabei haben Sie sich in Ihrem Buche herausgenommen, sich auf eine schmutzig-zynische Weise nicht nur über andere zu äußern (das wäre ja bloß unhöflich), sondern auch über sich selbst, was schon ekelerregend ist! Denn, wenn jemand der seinem Nächsten eine Ohrfeige gibt, Empörung erregt, so erweckt der, der sich selbst schlägt, nur Verachtung. Nein, Ihr Geist hat sich nur verdunkelt, nicht aber erleuchtet! Sie haben weder den Sinn noch die Form des Christentums unserer Zeit begriffen! Aus Ihrem Buche spricht nicht die Wahrheit der christlichen Lehre, sondern eine krankhafte Furcht vor dem Tode, dem Teufel und der Hölle!...
Mir lag Ihr Buch vor und nicht Ihre Gesinnung; ich habe es gelesen und hundertmal wiedergelesen, und dennoch habe ich in ihm nichts finden können, außer dem, was in ihm enthalten ist; dies aber hat mich tief empört und gekränkt!
Wenn ich meinem Gefühl freien Lauf gelassen hätte, hätte sich dieser Brief leicht zu einem dicken Heft erweitert. Es wäre mir niemals in den Sinn gekommen, Ihnen über diesen Gegenstand zu schreiben, obwohl ich es mit aller Qual gewünscht hätte, und obwohl Sie jedermann dazu eingeladen haben, Ihnen ohne Umstände zu schreiben, im alleinigen Interesse der Wahrheit. Wäre ich in Rußland, hätte ich dies auch nicht tun können, denn die dortigen Schpekine öffnen fremde Briefe ja nicht zum bloßen Vergnügen, sondern in dienstlichem Auftrag, behufs Denunziation. In diesem Sommer hat mich die beginnende Schwindsucht ins Ausland geführt, und Nekrassow übersandte mir Ihren Brief nach Salzbrunn, von wo aus ich heute mit Annenkow über Frankfurt am Main nach Paris abreise. Der unerwartete Empfang Ihres Briefes gab mir die Gelegenheit, Ihnen alles das herauszusagen, was mir im Zusammenhang mit Ihrem Buche auf dem Herzen lag. Ich verstehe nicht, Halbheiten zu reden, es ist mir nicht gegeben, herumzuklügeln, das liegt nicht in meiner Natur. Mögen Sie, oder möge der Ablauf der Zeit den Beweis erbringen, daß ich mich in meinen Schlußfolgerungen, was Sie betrifft, geirrt habe. Ich wäre als erster froh darüber, werde es aber nicht bereuen, was ich Ihnen gesagt habe. Hier geht es nicht um meine oder um Ihre Person, sondern um etwas, was weit wichtiger ist als ich und sogar als Sie; hier geht es um die Wahrheit, um die russische Öffentlichkeit, um Rußland!


Und nun zum Abschluß mein letztes Wort: wenn Sie das Unglück hatten, sich in stolzer Demütigung von Ihren eigenen wahrhaft großen Werken loszusagen, so sollten Sie sich jetzt in aufrichtiger Demut von Ihrem letzten Buche lossagen und die schwere Sünde seiner Herausgabe dadurch sühnen, daß Sie wieder Werke schaffen, die die Erinnerung an Ihre ersten Schöpfungen erwecken!

Salzbrunn, am 15. Juli 1847.“

Rachmanowa, Das Leben eines großen Sünders Bd. 2