1834 Moskauer Internat
Die Schule
Das Tschermaks-Internat „für adlige Kinder männlichen Geschlechts“ wurde als einer der besten der Zeit angesehen. Die Schüler kamen aus der vornehmsten Aristokratie und Intelligenzia und standen vom sozialen Prestige her hoch über den Brüdern Dostojewski.
Diese Internatsschule war dafür bekannt, dass sie ihren Schülern eine erstklassige literarische Bildung zu teil werden ließ. Die Schulbibliothek war bestens bestückt, und Dostojewski stürzte sich lesehungrig über die Bücher.
„Dostojewskij, Sträfling - Spieler - Dichterfürst“ Geir Kjeetsa; Verlags KG Wiesbaden, 1985 S. 26 ff
„Dostojewski konnte bereits als Vierjähriger Lesen und Schreiben.“
Hamel, Christine; Dostojewskij S. 13
Die Schulkosten überstiegen bei weitem die Mittel des Vaters. Jeder Platz kostete 800 Rubel. Das entsprach dem Jahresverdienst des Vaters. So arbeitete er noch in einer Privatpraxis und nahm Anleihen auf. Dass er also ausschließlich geizig gewesen ist, trifft somit nicht ohne Einschränkung zu.
„Dostojewskij, Sträfling - Spieler - Dichterfürst“ Geir Kjeetsa; Verlags KG Wiesbaden, 1985 S. 26 ff
In anderen Biographien findet man hingegen die Angabe, dass die Schulplätze gefördert gewesen wären und somit kein Schulgeld entrichtet werden musste. Vgl. zum Beispiel bei Hamel, Christine; Dostojewskij
oder auch bei Jolan Neufeld, Skizze zu einer Psychoanalyse: „Als Staatsbeamter bekam der alte Dostojewski für alle seine Söhne Freiplatze an staatlichen Instituten.“
Mitschüler über ihn:
"Ein ernster, grüblerischer Junge mit blondem Haar und blassem Gesicht. (. . .) Er interessierte sich nicht sonderlich für unsere Spiele. In den Pausen ging er selten von seinen Büchern weg, und wenn, dann sprach er mit den ältesten Schülern."
Ebenda
Sein Bruder Michail ist bereits zu dieser Zeit der wesentliche Bezugspunkt für Dostojewski und bleibt auch der einzige seiner Geschwister, zu dem er einen engen Kontakt pflegen wird. Nach der Grundschulzeit wird Michail eine andere Schule besuchen müssen als sein Bruder. (Die Schule konnte durch die Eltern nicht bezahlt werden. Fjodors Platz war eine Art geförderter Platz). Dostojewski leidet an dieser Trennung dann recht stark.
An dieser Schule lehrte ein Lehrer Namens Bilewitsch, der ein begeisterter Anhänger Nowikows und seiner Aufklärungsideen war und diese seinen Schülern vermittelte. Die Nachwirkungen lassen sich bis in die Notizen zum Roman Der Jüngling (und im Roman selbst) und zum Leben eines großen Sünders nachweisen, ohne daß der Name Bilewitsch auftaucht.
Vgl. Konrad Onasch, Dostojevskij in der Tradition der russischen "Laientheologen"
Aus Andrej Dostojewskis Erinnerungen
Also in dieses Pensionat traten meine Brüder im Jahre 1834 ein. Auch meine älteste Schwester war damals in einem Mädchenpensionat. An den freien Tagen, die sie zu Hause verbrachten, mussten sie mich auf Wunsch der Eltern unterrichten: Michail in Arithmetik und Geographie, Fjodor in Geschichte und Russisch, und Warwara in der französischen und deutschen Sprache. Schon am Morgen des letzten Wochentages begann man die Rückkehr der Kinder ins Elternhaus zu empfinden. Auch die Eltern wurden ein wenig heiterer und zum Mittagessen wurde noch irgendetwas Besonderes hinzugefügt, kurz, es lag etwas Feiertägliches in der Luft. Ja, an diesem Tage wurde sogar die ewig feststehende Tischzeit (12 Uhr) verschoben, denn bis der Wagen hinfuhr, die Brüder sich zurechtmachten usw. vergingen gute 1,5 bis 2 Stunden. (Die Schwester wurde erst gegen Abend abgeholt.) Doch kaum waren die Brüder angelangt, da kam schon, noch bevor man sich richtig begrüßt hatte, das Essen auf den Tisch, und noch bevor sie ihren ersten Hunger gestillt hatten, begann das Erzählen. Zuerst wurden wahrheitsgetreu alle Noten gemeldet, die sie im Laufe der Woche erhalten hatten, dann wurde von den Lehrern erzählt, von den anderen Schülern, von verschiedenen, manchmal nicht ganz harmlosen Streichen der Kameraden. Darüber verging die Zeit und die Mahlzeit dauerte bedeutend länger als sonst. Die Eltern hörten befriedigt zu und schwiegen, indem sie die Kinder sich aussprechen ließen. Ich kann wohl versichern, dass die Brüder alles mit vollkommenster Aufrichtigkeit den Eltern erzählten. Aber es kam nie vor, dass der Vater bei der Gelegenheit den Söhnen Moral gepredigt hätte. Wenn sie von den Streichen der Kameraden erzählten, sagte er nur hin und wieder: >so ein Schlingel<, oder >so ein Raufbold<, oder »so ein Taugenichts« und ähnliches, doch niemals fügte er hinzu, etwa: >Hört! dass ihr mir nicht dasselbe tut!< Ich glaube, mit diesem Verhalten wurde zu verstehen gegeben, dass der Vater sogar die Möglichkeit für ausgeschlossen hielt, auch seine Söhne könnten ähnliche Streiche verüben. Nach Tisch wurde noch ein wenig geplaudert, und dann setzten sich die Brüder an die Lhombretische und gaben sich ganz der Lektüre der Bücher hin, die sie regelmäßig aus dem Pensionat mitbrachten. Selten habe ich gesehen, dass sie sich am Sonnabend oder Sonntag mit dem Lernen ihrer Aufgaben beschäftigten oder überhaupt ihre Schulbücher mitgenommen hatten. Später, etwa im Jahre 1836, sprachen sie mit besonderer Begeisterung von ihrem Lehrer der Literatur und russischen Sprache, der förmlich ihr Abgott zu sein schien, da sein Name beständig in ihrem Munde war. Leider kann ich mich auch auf diesen Namen nicht mehr besinnen.
Die Brüder pflegten überhaupt keinen Verkehr, auch nicht mit ihren Schulkameraden. Nur einmal besuchte ein Klassenkamerad, ein gewisser Kudrjäwzoff, meinen Bruder Michail, worauf diesem erlaubt ward, den Besuch zu erwidern, doch damit war auch dieser Verkehr abgetan. Nur Wanitschka Umnoff, der Sohn einer Bekannten unserer Eltern, kam hin und wieder zu uns, aber der war Gymnasiast und etwas älter als meine Brüder.
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