und die Publizistik

"Dostojewskis Neigung zum Zeitungswesen und zu den damit verbundenen Formen kann man bereits in seinem frühen Schaffen erkennen."Nachwort Eine verfängliche Frage Aufbau Verlag 1988 S. 645
 
Bereits 1838, während Dostojewskis Ingenieur-Studium in Petersburg, arbeitet er in der Redaktion der Kadettenzeitung „Revaler Snjatok“ (Ревельский сняток) aktiv mit.
 
Ende des Jahres 1845 bittet Nekrassow Dostojewski um einen feuilletonistischen Text für einen beabsichtigten Almanach. Das Feuilleton trug den Namen "Der Spötter". Zudem wird ihm redaktionelle Mitarbeit angeboten. In mehreren Briefen äußert sich Dostojewski darüber gegenüber seinem Bruder Michail begeistert.
 
1847 werden von Dostojewski vier Feuilletons veröffentlicht, bekannt als „Petersburger Chronik“.
 
Anfang der 60er Jahre, insbesondere nach der Aufhebung der Leibeigenschaft bildeten sich neue politische Richtungen und ideologische Gruppierungen heraus, die vor allem die Zeitschriften als öffentliche Plattform nutzten. Es war eine Zeit geistiger Gärung. In diesem Spektrum links der "Sowremennik" und rechts der "Ruski Westnik".
 
Die Redaktion des Sowremenniks (Zeitgenosse)
Obere Reihe von links nach rechts: I. Turgenjew,  Dobroljubow, L. Tolstoi
Untere Reihe von links nach rechts: N. Nekrassow, A. Grogorowitsch, I. Panajew

                 
Die Zeitungen und ihre Nachrichten waren für Dostojewski das soziale und geschichtliche Beobachtungsfeld.
 
Eine Ausgabe des Ruski Westnik aus dem Jahr 1863
 
Dostojewski war brennend daran interessiert, seine in der sibirischen Verbannung gewonnenen Überzeugungen, seine weltanschauliche Botschaft als eigene Stimme in den Widerstreit dieser Meinungen und Parteien einzubringen.
 
Um das Petersburger Geistesleben näher kennenzulernen, sucht er neue Kontakte (N. N. Strachow) und frischte alte (A. P. Miljukow, A. N. Majkow, A. A. Grigorjew) wieder auf.
 
Auch schaltete sich Dostojewski bald nach seiner Ankunft in Petersburg in die Diskussionen um Grundfragen der Ästhetik ein und gelangte wie in seinen politisch-ideologischen Ansichten auch dort zu einer Art Ausgleich zwischen den streitenden Richtungen.
 
Fjodor und sein Bruder Michail Dostojewski bereiten 1860 in gemeinsamer Redaktion die Herausgabe der Zeitschrift „Wremja“ (Die Zeit) vor.
Die Mitwirkenden der Wremja waren durchaus nicht konservativ, sie standen aber abseits von den, die anderen Zeitschriften weitgehend beherrschenden radikalen Gruppierungen. Die Subskriptionsanzeige lässt dies bereits erkennen.
 
1861 erscheint die Wremja erstmals.

  Mit einem Klick auf das Bild finden Sie  alle Ausgaben der Wremja (in Russisch).
 
"In Dostojewskis `Petersburger Traumgeschichten in Vers und Prosa` (Wremja Nr. 1 1861) lobt er einerseits das Feuilleton als `beinahe die Hauptsache` des Jahrhunderts, andererseits jedoch lehnt er das traditionelle Feuilleton als eine bloße Aufzählung von Stadtneuheiten ab. Die Gattung solle stattdessen eine Schreibweise sein, in der man zu einem Geschehen eine eigene Stellungnahme abgibt."
Tagebuch eines Schriftstellers, Piper München 2001 S. 154
 
"Dostojewski sprach seine Ansichten über die Nihilisten in verschiedenen polemischen Aufsätzen aus. In seinen Zeitschriften waren Schriftsteller vereinigt, die nicht die Ansichten der Aufklärer vertraten. Ihre eigene Bezeichnung `Bodenständigkeit` sollte bedeuten, dass sie im russischen Leben gewisse gesunde Elemente sahen."
Tschizewskij, Dimitrij; Dostoevskij und die Aufklärung S. 10
 
In der Wremja nahm Dostojewski eine unabhängige Position zwischen dem Lager der Konservativen und dem der Liberalen ein.
 
„Als er seine publizistische Arbeit in der Wremja begann, war ihm das Westlertum nur zu eng, etwas veraltet, aber er selbst fühlte sich noch als Westler, wenngleich er schon das Volk entdeckt hatte. (…) Dostojevskij dachte daran, das Westlertum und Slawophilentum in einer Synthese zu überwinden und weiter zu gelangen.“
Masaryk, T. G.; Polemiken und Essays zur russischen und europäischen Literatur- und Geistesgeschichte S. 143
 
Hier finden sie Auszüge aus den Inhaltsverzeichnissen aller Jahrgänge.
 
Hatte Dostojewski noch im Juli / August 1862 in der aktuellen Chronik der "Wremja" die revolutionäre Jugend gegen den Vorwurf, sie sei Urheber der verheerenden Brände vom Mai 1862 in Petersburg in Schutz genommen, so wandte er sich bereits Monate später immer deutlicher gegen die Auffassungen im "Sowremenik".
 
Im Mai 1863 traf die "Wremja" völlig überraschend ein Verbot durch die Zensur; wegen eines vermeintlich falsch interpretierten Artikels.
 
Mit Hochdruck wurde umgehend, die Herausgabe einer neuen Zeitschrift anvisiert.
Die Nachfolgezeitschrift der Dostojewskis, "Epocha", erschien erstmals im März 1863.
 
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Sie stand unter keinem guten Stern. Sie musste bereits im Februar 1865 eingestellt werden.
 
"Dostojewskis publizistische Schriften der sechziger Jahre stellen nicht nur eine bemerkenswerte Erscheinung in der Geschichte der russischen Journalistik dar. Sie waren zugleich ein Laboratorium für sein großes erzählerisches Spätwerk, das seinen lebendigen Bezug zur Journalistik nie verleugnet."
Nachwort in: Eine verfängliche Frage; Aufbau Verlag 1988 S. 694
 
Damit trat in Dostojewskis journalistischer Tätigkeit eine mehrjährige Unterbrechung ein. Erst in den siebziger Jahren nahm er sie wieder auf und zwar in der Form des "Tagebuch eines Schriftstellers", das anfangs in der Wochenzeitschrift "Graschdanin" (Der Staatsbürger) erschien, später dann im Eigenverlag.
 
Auch in vielen seiner Briefe lässt er sich immer wieder zu journalistischen Fragen der aktuellen Zeitungswelt aus.
 
Im Januar 1873 trat er eine feste Stelle als Redakteur an. Es ist die recht konservative Zeitschrift "Graschdanin" (Der Staatsbürger).
In genau jener wurden die ersten Texte seines „Tagebuch eines Schriftstellers“ veröffentlicht. So recht zum Schreiben kam Dostojewski selbst jedoch nicht.
 
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Im April 1874 gab er die Stelle aus freien Stücken wieder auf. Er will sich unbedingt wieder seinem eigenen Schaffen widmen können.
 
In publizistischer Hinsicht bedeutete dies, dass er ab Januar 1876 das "Tagebuch eines Schriftstellers" als monatliches Periodikum herausgab.
 
 Tagebuch eines Schriftstellers 1877
 
In diesem reagierte er unentwegt auf das aktuelle Tagesgeschehen, veröffentlichte aber auch Novellen.
Die Divergenz zwischen seinen Romanen und seinem publizistischen Schaffen, wuchs zusehends.
 
Hier veröffentlichte er u. a. auch seine Puschkin-Rede, inklusive diverser eigener Entgegnungen zum Echo seiner Rede.
Anfang 1881 pausierte er mit der Tagebuch-Herausgabe, um sich vornehmlich seinem Roman „Die Brüder Karamsow“ zu widmen.
Ob er gewillt war, die Karamsows fortzuschreiben, bleibt bis heute eine strittige Frage.
 
Die feste Absicht, sich nach den Karamasows wieder intensiv dem Tagebuch zu widmen, erscheint jedoch unzweifelhaft.
 
Der Wille und das Bedürfnis zur publizistischen Arbeit blieb Dostojewski demnach ein Leben lang eigen.