Tobolsker Bibel
Omsk, März 1954:
In einem Brief an Mademoiselle Fonwisina, die ihm 1850 in Tobolsk das Neue Testament geschenkt hatte, schreibt Dostojewski:
"Ich kann von mir selbst sagen, dass ich ein Kind meiner Zeit bin, ein Kind des Unglaubens und des Skeptizismus; ich bin es bis jetzt gewesen und weiß, dass ich es bis an mein Grab bleiben werde. Wie viele Leiden hat mich dieser Durst nach Glauben schon gekostet und wie viele kostet er mich noch; er ist umso stärker in meiner Seele, je mehr Argumente ich gegen ihn habe."
Er schreibt, sein Trachten und Sehnen sei dennoch von Christus bestimmt, denn "es gibt nichts Schöneres, nichts Tieferes und Mitfühlenderes, nichts Besonneneres, Menschlicheres und Vollkommeneres als Christus ... Wenn irgendjemand mir bewiese, dass Christus außerhalb der Wahrheit stand, und es wirklich so war, dass die Wahrheit außerhalb von Christus war, so würde ich lieber bei Christus bleiben als bei der Wahrheit."
Briefe, Piper S. 85
Der Brief an Natalja Fonwisina im Omsker Dostojewski-Museum © Judith Vöcker
Seine Frau Anna Grigorjewna erwähnte später, dass das Exemplar des Neuen Testaments immer auf dem Schreibtisch zu finden war: ”Wann immer er in Gedanken verloren schien oder in Zweifel über etwas stand, öffnete er das Neue Testament an einer beliebigen Stelle und las, was immer er auf der aufgeschlagenen linken Seite fand.”
Dieses Exemplar des Neuen Testaments wurde 1983 im Lenin-Museum in Moskau von dem norwegischen Dostojewski-Forscher G. Kjetsaa, der auch eine Biographie über Dostojewski geschrieben hat, ausgewertet.
Dostojewskis Bibel*
"Es finden sich etwa 200 Anstreichungen bzw. Anmerkungen in dieser Ausgabe, und zwar betreffen sie 21 der 27 Bücher des Neuen Testaments. Das Markusevangelium wird zweimal, das Lukasevangelium siebenmal, aber der 1. Johannesbrief sechsmal, die Offenbarung des Johannes 16mal, das Johannesevangelium 58mal angestrichen. Ein Grund dafür ist sicher, dass das Johannesevangelium das Evangelium der Ostkirche ist."
Dr. Jürgen Spieß; Dostojewski und das Neue Testament
Natalja Dimitrijewna Fonvisina
"Die Bibel begleitete ihn auf all seinen Reisen, sie lag stets neben ihm in einer Schublade des Schreibtisches, und zwei Stunden vor seinem Tod hat er sie feierlich in die Hände seines Sohnes gelegt."
Doderer, Otto; Die Unnachgiebigen - Tolstoij und Dostojewski in ihren Ehen S. 24
Dass diese Bibel, das einzige Buch gewesen sei, welches Dostojewski in Omsk gelesen habe, entspricht nicht den Tatsachen. Durch diverse Protektion, war es ihm möglich, auch andere Bücher zu lesen; im Umfang zu seiner Lektüre in Freiheit selbstverständlich marginal.
* Die originale Bibel wird in der Abteilung für Manuskripte der Russischen Staatsbibliothek aufbewahrt.
In der Russischen Staatsbibliothek in Moskau wurde im November 2017 ein neuer Nachdruck der Bibel Dostojewskis präsentiert. Es handelt sich um eine dreibändige Ausgabe mit diversen Zusätzen und Anmerkungen. Zudem wurde die Bibel auch elektronischer Form veröffentlicht.